Der Begriff taucht überall auf: in Kommunikationsseminaren, in Führungsratgebern, in Gesprächen über Beziehungskompetenz. Auch ich habe ihn viele Jahre unterrichtet.
Aber heute frage ich mich: Weiß ich überhaupt, was damit gemeint ist?
Oder besser: Trifft das, was darunter verstanden wird, wirklich das, was ich unter Zuhören verstehe – und lebe?
Wenn ich nachlese, was „Aktives Zuhören“ laut Lehrbuch oder Wikipedia bedeutet, wird mir schnell klar:
Da fehlt etwas. Für mich ist es mehr.
Zuhören ist für mich keine Technik. Kein Werkzeug. Sondern eine Haltung.
Etwas, das über Worte hinausgeht – und spürbar wird, wenn es da ist.
In diesem Artikel versuche ich, meine eigene Sicht auf Aktives Zuhören zu zeigen.
Nicht als Definition, sondern als Einladung:
Hin zu einem anderen Zuhören. Tiefer. Klarer. Menschlicher.
1. Was ist Aktives Zuhören – aus meiner Sicht
Aktives Zuhören bedeutet für mich mehr als Techniken oder Gesprächsmethoden.
Es ist ein Seins-Zustand, in dem ich ganz beim anderen bin.
Ich nehme nicht nur Worte auf, sondern auch Stimmungen, Zwischentöne, Betonungen, Lücken. Ich spüre, was jemand sagt – und was er vielleicht nicht sagen will oder kann.
Es ist ein Raum, in dem der andere sich entfalten darf – ohne dass ich gleich antworte, bewerte oder ergänze.
Manchmal frage ich mich, ob der Begriff überhaupt noch passt. Vielleicht braucht es einen neuen – für dieses aufmerksame, offene, nicht wertendes Dasein für den anderen.
2. Mehr als Methode: eine Haltung
Aktives Zuhören ist für mich eine Haltung.
Ich nehme mich selbst zurück.
Nicht, weil ich nichts zu sagen hätte, sondern weil gerade nicht ich gemeint bin.
Ich gebe dem anderen Raum – ohne ihn mit meiner Meinung zu füllen.
Das ist keine Zurückhaltung aus Höflichkeit, sondern eine bewusste Entscheidung: Jetzt bist du dran.
Diese Haltung kann man nicht überstülpen. Sie braucht echte Bereitschaft, sich einzulassen.
Und sie braucht Achtsamkeit dafür, wann meine Gedanken, Urteile oder schnellen Lösungen sich dazwischen schieben wollen.
3. Was bewirkt echtes Zuhören?
Wenn ich jemandem wirklich zuhöre, geschieht etwas.
Der andere spürt: Ich darf hier sein. Ich werde gesehen. Ich werde ernst genommen.
Viele kennen das nicht. Und sind tief dankbar, wenn sie es erleben.
Für viele ist es das erste Mal, dass ihnen jemand so aufmerksam zuhört – ohne sofort zu bewerten, zu korrigieren oder zu übergehen.
Ich selbst frage meist nach. Nicht aus Neugier, sondern weil ich verstehen will.
Was meint der andere wirklich? Was ist ihm wichtig? Wo liegen die Stolpersteine?
Natürlich muss nicht jedes Gespräch so verlaufen. Aber wenn ich bewusst zuhöre, öffnet sich eine andere Tiefe – die dem ganzen Gespräch ein anderes Gewicht gibt.
4. Für wen ist Aktives Zuhören besonders wichtig?
Ich meine: für uns alle.
Aber besonders für Menschen, die mit anderen arbeiten.
Für Ärzt:innen, Richter:innen, Lehrer:innen, Verkäufer:innen, Therapeut:innen, Führungskräfte – für Eltern, für Partner:innen.
Aktives Zuhören verändert unsere Haltung gegenüber dem, was uns begegnet.
Wir reagieren nicht mehr auf das, was wir glauben zu hören, sondern gehen offen in das, was wirklich gesagt wird.
Wenn wir uns das bewusst machen, verändert sich auch unser Umgang miteinander.
Wir hören nicht mehr mit dem Ziel zu antworten – sondern um zu verstehen.
5. Wenn Vorannahmen das Zuhören verhindern
Ein Beispiel: Eine übergewichtige Patientin wird von ihrer Ärztin zurechtgewiesen, sie solle die Schokolade nicht so „in sich hineinstopfen“.
Tatsächlich aber – sie mag keine Schokolade. Keine Süßigkeiten. Sie isst lieber Deftiges: Bratkartoffeln, Hering, Saures.
Was hier passiert?
Eine Zuschreibung. Ein Bild im Kopf der Ärztin – das nichts mit der Realität der Patientin zu tun hat.
Das passiert ständig. In Beratung, Therapie, Alltag.
Wir glauben zu wissen, was der andere tut, meint, braucht – und hören deshalb nicht mehr genau hin.
Aktives Zuhören bedeutet: innehalten. Fragen. Die eigenen Bilder prüfen. Und dann neu hören.
6. Wann ist Aktives Zuhören besonders wertvoll?
Eigentlich: immer.
Aber besonders in Momenten, in denen es um mehr geht als nur Informationen.
Wenn Gefühle im Spiel sind. Wenn Entscheidungen anstehen. Wenn Vertrauen gebraucht wird.
Ein Arzt, der zuhört, statt gleich zu werten.
Ein Verkäufer, der zuerst fragt, bevor er argumentiert.
Ein Elternteil, das nicht sofort erzieht, sondern zuhört.
Ein Chef, der nicht urteilt, sondern versteht, was sein Team braucht.
Solche Begegnungen bleiben im Gedächtnis. Sie machen den Unterschied.
7. Was, wenn jemand gar nichts hören will?
Manchmal wollen Menschen gar nicht wirklich ins Gespräch.
Sie wollen nur ihren Ärger loswerden, ein Feindbild schildern, sich bestätigt fühlen.
Auch das kann ich als Zuhörende erkennen – wenn ich genau hinhöre.
Ein Beispiel: Die Frau, die sich ständig über ihre Schwiegertochter beschwert.
Wenn ich beginne nachzufragen – Was genau verletzt dich? Was genau hat sie gesagt? –
wird oft klar: Es geht gar nicht nur um die Schwiegertochter.
Es geht um eigene Schmerzpunkte, um Erwartungen, um Überforderung.
Aktives Zuhören bedeutet hier: nicht gleich eine Lösung anbieten, sondern erst einmal Raum schaffen, damit der andere sich selbst begegnen kann.
8. Was beim Zuhören oft übersehen wird
Jedes Wort, das wir benutzen, löst ein Bild aus.
Auto – und schon sieht jeder etwas anderes vor sich.
Das ist noch harmlos. Aber was, wenn wir von Verantwortung, Liebe, Respekt sprechen?
Auch hier trägt jeder seine eigene Geschichte in sich – und versteht Worte anders.
Aktives Zuhören bedeutet: diese Unterschiede bewusst wahrzunehmen.
Und sich nicht zu früh sicher zu sein, dass man verstanden hat.
Manche Berufsgruppen meinen, sie könnten es besonders gut.
Richter hören gezielt auf das, was für ein Urteil wichtig ist.
Ärzt:innen auf das, was in ihr Diagnoseraster passt.
Beides ist nachvollziehbar – aber begrenzt.
Viele Missverständnisse und Untersuchungen ließen sich vermeiden,
wenn wir zuerst zuhören – und dann entscheiden, wie es weitergeht.
Dazu braucht es nicht immer eine Fachkraft.
Manchmal reicht jemand, der präsent ist, gute Fragen stellt und helfen kann, die eigenen Anliegen klar zu formulieren.
9. Fazit: Aktives Zuhören ist eine Haltung
Für mich ist Aktives Zuhören kein Kommunikationswerkzeug.
Es ist eine Haltung. Ein inneres Zurücktreten. Ein Raumöffnen.
Es ist die Entscheidung, den anderen wirklich zu sehen – ohne Filter, ohne Deutung, ohne vorzeitige Antwort.
Wenn wir uns selbst darin üben – im Kleinen wie im Großen –
wird sich unsere Art zu kommunizieren verändern.
Weniger Reibung. Mehr Verbindung.
Weniger Kampf. Mehr Verstehen.
Und du?
Kennst du Gespräche, in denen du dich wirklich gehört gefühlt hast?
Oder Momente, in denen du selbst gespürt hast: Jetzt bin ich ganz beim anderen – und nichts anderes zählt gerade?
Ich freue mich über deine Gedanken – gerne im Kommentar unter diesem Beitrag.
Mehr zum Thema?
→ Warum Haltung wichtiger ist als Worte
→ Warum ich Zuhören liebe – 7 Gründe
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