Keine Schule. Kein Chef. Kein Muss. Nur Leben.

Was wäre, wenn wir einander wirklich sehen würden – von Anfang bis Ende?

Warum ich diesen Artikel geschrieben habe

👉 Dieser Beitrag ist Teil einer von über 80 Blogparaden, die Judith Peters aktuell ausgerufen hat.
Eine davon trägt den Titel „Schule anders denken – mutige Ideen für Unterricht“, initiiert von Gabriella Rauber. Sie hat mich ins Nachdenken gebracht:

Was wäre, wenn wir nicht nur Schule neu denken – sondern das ganze Leben?

Weil mich dieses Thema so tief berührt, lade ich selbst auch zur Diskussion ein:
In meiner eigenen Blogparade geht es um prägende Führungserfahrungen – und was sie mit uns machen. Denn wie wir geführt wurden, hat oft ebenso tiefe Spuren hinterlassen wie unsere Schulzeit.

Die Frage, wie Schule neu gedacht werden kann, berührt für mich einen viel größeren Raum:
Wie sähe ein Leben aus, wenn wir wirklich frei wären?
Wenn wir nicht erst die Schäden aus der Schulzeit mühsam aufarbeiten müssten.
Wenn wir nicht aus Angst, Pflichtgefühl oder Leistung handeln würden –
sondern aus Freude, Vertrauen und Resonanz.

Ich arbeite mit vielen Menschen, die als Erwachsene noch die Narben ihrer Schulzeit tragen – innerlich beschämt, gehemmt, ausgebremst.
Doch es sind nicht nur die Lehrer oder Schulnoten, die Spuren hinterlassen.
Es sind auch die Erwartungen der Eltern.
Das frühe Weggeben in Kitas.
Der ständige Druck, „etwas Gescheites“ zu lernen, „jemand zu werden“.

Viele durften nicht einfach so sein, wie sie waren –
und diese frühen Verletzungen wirken oft ein Leben lang nach.

Wie stark uns diese frühen Prägungen im Innersten formen – und was das mit echter Selbstbestimmung zu tun hat – beschreibe ich in einem weiteren Artikel:
👉 Selbstbestimmt leben – zwischen Anspruch und Anpassung

Ich begleite Menschen dabei, diesen alten Ballast loszulassen.
Und manchmal denke ich:
Wie schön wäre es, wenn dieser Ballast gar nicht erst entstehen müsste?

Also habe ich eine Vision aufgeschrieben.
Keine Utopie, keine Lösung für alle –
sondern ein mögliches Bild.
Ein Leben, das nicht aus Mangel entsteht, sondern aus innerem Reichtum.

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Keine Schule. Kein Chef.Kein Muss. Nur Leben

Was wäre, wenn wir einander wirklich sehen würden – von Anfang bis Ende?

Zwei Menschen begegnen sich

Zwei junge Erwachsene begegnen sich. Es ist kein dramatisches Verlieben, sondern eine leise, wachsende Verbindung – aus echtem Interesse, gegenseitigem Respekt, einem tiefen Ja. Und aus Gefühl. Aus dieser inneren Bewegung: Ich will dich wirklich kennenlernen.

Ein Ort entsteht – nicht zugewiesen, sondern gewählt

Sie entscheiden sich füreinander. Und beginnen, miteinander zu sprechen – über ihr künftiges Leben, ganz konkret. Wie wollen wir wohnen? Was soll uns umgeben? Wie viel Nähe tut uns gut? Was bedeutet für uns Gemeinschaft? Dieser Austausch ist kein Nebenthema – er ist das Zentrum. Das Gespräch selbst ist der Prüfstein für alles, was kommt.

Und manchmal zeigt sich: Unsere Vorstellungen passen nicht zusammen. Dann trennen sie sich – ohne Drama, ohne Schuld. Sondern mit dem Wissen: Wir haben es ernst gemeint, und genau darum war dieser Austausch so wichtig.

Wenn sie aber merken: Ja, das passt – dann gehen sie los. Gemeinsam.

Weil es kein Geldsystem mehr gibt, keine Besitzgrenzen, keine Marktpreise, bekommen sie den Ort, den sie sich ausgesucht haben. Sie schauen gemeinsam: Wo möchten wir Sonne? Wo einen See? Wie soll der Ort gestaltet sein? Welche Landschaft spricht uns an – offen, wild, sanft, geschützt?

Nicht irgendein Grundstück wird zugewiesen. Sondern der Platz entsteht aus ihrer inneren Resonanz. Aus ihrer Vision. Der Ort passt – weil sie ihn sich selbst gewählt haben.

Eine Hochzeit – und der Beginn einer gemeinsamen Welt

Zur Hochzeit bringen die Gäste keine Geschenke im klassischen Sinn. Sie bringen das, was sich das Paar gewünscht hat: eine bestimmte Kirschbaumsorte, Lieblingspflanzen, Holz für die Bank am Bach. Gemeinsam wird an diesem Tag nicht nur gefeiert, sondern gepflanzt, gezimmert. Ganz nach den Plänen des Paares. Die Zukunft beginnt dort, wo zwei Menschen Ja zueinander – und zu einer gemeinsamen Welt – sagen. An dem Hochzeitsabend sind die Geschenke gepflanzt.

Leben ohne Takt – im eigenen Rhythmus

Das Paar lebt so, wie es für sie stimmig ist. Kein Wecker. Kein Raster. Kein „Man macht das so“. Sie schlafen, wenn sie müde sind. Werden aktiv, wenn sie inspiriert sind. Manchmal nachts, manchmal früh am Morgen.

Es gibt keine Vorschriften – nur innere Rhythmen. Was sie tun, geschieht aus Freude und Resonanz. Und ist immer auch eingebettet in die Gemeinschaft – aber nicht aus Pflicht, sondern aus natürlichem Geben und Nehmen.

Intensive Lebensphasen – wie Geburt, Trauer oder Heilung – sind geschützt. Ohne viele Worte. Es ist einfach klar, dass diese Zeiten Raum brauchen. Man zieht sich zurück, andere übernehmen. Und niemand fragt: „Wann bist du wieder einsatzfähig?“

Ein Kind wird eingeladen

Wenn das Paar spürt, dass es ein Kind empfangen möchte, beginnt eine besondere Zeit.
Keine beiläufige Entscheidung. Kein „Es hat halt geklappt“.
Sondern eine bewusste Einladung – getragen von innerer Stimmigkeit und dem Wunsch, mit einer bestimmten Seele in Kontakt zu treten.

Die beiden stimmen sich ab:
Welche Qualitäten wünschen wir uns? Was könnte uns ergänzen? Welche Seele fühlt sich zu uns hingezogen – und wir zu ihr?

Sie warten, bis dieser Kontakt spürbar ist.
Und dann geschieht das Empfangen – nicht nebenbei, nicht aus Versehen. Sondern aus Absicht. Aus Bewusstheit.

Schwangerschaft – gehalten vom Vertrauen der Gemeinschaft

Die Frau wird schwanger. Und sie hat in dieser Zeit keine Verpflichtungen. Keine Aufgaben, die sie „nebenher“ erfüllen muss.
Sie darf sich ganz auf diesen Wandel einlassen.
Die Gemeinschaft weiß das – und hält sie. Still, präsent, selbstverständlich.

Die Geburt – in Würde und Stille im eigenen Tempo

Wenn die Geburt naht, zieht sich die Frau zurück.
Allein, im Kreis von Frauen, mit dem Partner – wie sie es braucht. Das muss nicht besprochen werden. Es ist spürbar.
Sprache ist in dieser Welt nicht nur laut – sie ist auch feinstofflich. Gedanken, Stimmungen, Gefühle werden gesehen, verstanden.

Wenn sie Angst hat, kommt jemand. Wenn sie Sorgen trägt, spürt es jemand. Und bietet Hilfe an. Ohne Übergriffigkeit, ohne Anweisung. Einfach da.

Das Kind wird geboren. Und bleibt lange mit der Nabelschnur verbunden – so lange, bis es zeigt: Jetzt bin ich bereit. Die Mutter spürt den richtigen Moment.
Dann bleibt das Kind bei den Eltern. Ganz selbstverständlich.

Ankommen in einer Welt ohne Mangel

Die Eltern erhalten, was sie brauchen – ohne Antrag, ohne Begründung.
Gesundheit ist selbstverständlich. Niemand muss sich „darum kümmern“.
Das Kind macht seine ersten Erfahrungen in Geborgenheit. Zuerst mit den Eltern. Dann mit der Familie. Dann mit der Gemeinschaft.Kommunikation – ohne Missverständnisse

Sprache darf wachsen – wenn die Zeit reif ist

Kinder beginnen zu sprechen, wenn sie so weit sind. Es gibt kein „zu früh“ und kein „zu spät“. Kein Messwert, keine Norm. Sprechen ist kein Ziel, das erreicht werden muss – sondern ein Ausdruck, der entsteht, wenn er innerlich reif ist.

Und selbst wenn ein Kind schweigen möchte, ist das kein Zeichen von Störung. In dieser Welt bedeutet Anderssein nicht automatisch: „Etwas stimmt nicht.“ Sondern: Es ist eine andere Form. Und die ist willkommen.

Lernen aus eigenem Antrieb – ohne Schule

Kinder lernen von selbst. Sie werden nicht unterbrochen. Sie dürfen bei ihrem Tun bleiben – so lange sie wollen. Niemand sagt: „Jetzt ist Mathe dran.“ Oder: „Jetzt musst du aber was Sinnvolles machen.“ Das Lernen folgt dem inneren Rhythmus, nicht dem Stundenplan.

Erwachsene als Begleiter – nicht als Vormacher

Sie werden begleitet – von Erwachsenen, die ihnen nahe stehen. Menschen, die Freude daran haben, dem Kind einen Entfaltungsraum zu bieten. Die nicht vorgeben, was richtig ist – sondern mit dem Kind gemeinsam schauen: Was zeigt sich? Was zieht dich an? Was willst du wissen?

Es ist kein „Ich zeige dir die Welt.“ Es ist: Ich begleite dich dabei, wie du die Welt entdeckst – und lerne dabei selbst neu zu sehen. Das Kind bereichert den Erwachsenen. Durch seine Art zu fragen. Durch seinen Blick. Durch sein Vertrauen.

Kommunikation – klar feinfühlig, verbunden

Menschen kommunizieren nicht nur mit Worten. Sie sehen einander. Spüren, was der andere fühlt. Verstehen, wenn etwas unausgesprochen bleibt. Deshalb braucht es keine Kommunikationsberater:innen mehr – weil der Kontakt klar ist.

Unterschiede sind sichtbar – und werden nicht als Bedrohung empfunden. Es gibt keinen Konkurrenzdruck. Jeder hat seinen Raum. Jeder bringt etwas anderes mit. Und genau das macht die Gemeinschaft lebendig.

Beitrag zur Gemeinschaft – freiwillig und freudvoll

Wenn Kinder größer werden, kehren auch die Eltern nach und nach zurück in den gemeinschaftlichen Alltag. Nicht, weil sie müssen. Sondern weil sie wollen.

Es gibt immer jemanden, der etwas Neues beginnt – ein Haus, ein Garten, eine Hochzeit, ein Fest. Und jeder bringt sich so ein, wie es passt: mit Musik, mit Handwerk, mit Ruhe, mit Energie. Nicht aus Pflicht – sondern aus Verbundenheit.

Rückzug und Heilung – wenn der Alltag Pause braucht

Auch in dieser Welt gibt es schwierige Phasen. Zeiten, in denen ein Mensch aus dem Gleichgewicht gerät. Doch das ist kein Tabu. Kein Problem. Kein Anlass für Scham.

Wer spürt, dass er Raum braucht, zieht sich zurück. Es gibt besondere Orte dafür – Lichträume, Heilplätze, geschützte Bereiche, in denen die Energie sich wieder ordnen kann. Dorthin kann jeder jederzeit gehen. Ohne Begründung. Ohne Rechtfertigung.

Wenn sich auffällig viele Menschen gleichzeitig zurückziehen, wird die Gemeinschaft aufmerksam: Was geschieht gerade? Was braucht unser Miteinander? Was darf sich verändern?

Es gibt keine Gesetze. Keine Strafen. Nur das achtsame Gespräch – und die klare Frage: Wird jemand in seiner Entfaltung eingeschränkt? Denn das ist der einzige Punkt, an dem die Gemeinschaft wachsam ist: Dass alle ihren Raum behalten. Dass niemand über den anderen bestimmt.

Altern – als Reifung, nicht als Verfall

Altern bedeutet in dieser Welt nicht Verlust. Es gibt keine körperliche Abwärtsspirale, keinen Rückzug ins „Nicht-mehr-Können“. Die Menschen ernähren sich lebendig. Alte Umweltgifte – auch die aus unserer Zeit – werden ausgeleitet und umgewandelt. Der Körper bleibt beweglich. Die Sinne klar.

Altsein bedeutet: erfahren sein. verbunden sein. innerlich weit geworden sein. Und diese Erfahrung ist gefragt. Denn: Wie es früher war, was durchlebt wurde, was gewachsen ist – das steht nicht in Büchern. Es wird erzählt. Weitergegeben. Direkt von Mensch zu Mensch.

Alte Menschen sind ein selbstverständlicher Teil der Gemeinschaft. Sie bringen keine Kraft wie die Jungen – aber dafür etwas anderes: Ruhe. Überblick. Geschichten. Kinder lieben es, bei ihnen zu sein. Sie hören zu, fragen nach, spüren die Tiefe.

Altern ist eingebunden. Nicht am Rand – sondern mitten im Leben.

Weitergehen – wenn das Leben rund ist

Wenn ein Mensch spürt: Ich habe genug gelebt. Ich will woanders hin. Ein anderes Leben. Oder einfach: Hier ist es rund – dann sagt er es. Und dann geht er.

Allen ist klar: Dieser Weg ist gewählt. Es ist kein Drama. Keine Flucht. Es ist eine Entscheidung. Es ist mein Weg.

Wie dieser Abschied aussieht, bestimmt der Mensch selbst. Vielleicht ein Fest mit der Gemeinschaft. Vielleicht leise Begegnungen, letzte Gespräche, ein paar innige Gesten. Vielleicht einfach ein stilles Gehen, ganz für sich.

Der Körper löst sich auf. Die Dinge sind verschenkt, verteilt, losgelassen. Es bleibt nichts zurück, was noch „geregelt“ werden muss.

Es gibt keine Beerdigung. Nur ein Abschied. Und dann: Raum.

Und heute?

Diese Welt existiert nicht. Noch nicht. Aber sie lebt in mir. Und in vielen Menschen, die sich nach einem anderen Miteinander sehnen – jenseits von Druck, Bewertung und Funktionieren.

Ich arbeite mit Menschen, die oft spüren, dass sie aus einer alten Welt kommen –
geprägt von Angst, Anpassung und einem ständigen „So macht man das.“ Viele haben gelernt, sich selbst zu verlassen, um irgendwo dazuzugehören. Viele haben nie erfahren, wie es sich anfühlt, wirklich gesehen und gehört zu werden.

In meiner Arbeit begleite ich sie dabei, ihre eigene Stimme wiederzufinden. Klar zu sprechen. Authentisch zu wirken. Und mit sich selbst wieder in Kontakt zu kommen.

Vielleicht beginnt das Neue nicht mit einem Systemwechsel. Nicht mit einer Revolution.

Vielleicht beginnt es mit einem einzigen Gespräch. Mit einem Kind, das nicht unterbrochen wird. Mit einem Menschen, der sagen darf: Ich bin müde – ich brauche Zeit. Mit einer Hochzeit, bei der ein Kirschbaum gepflanzt wird.

Vielleicht beginnt es da, wo du gerade bist.

Andrea Sam, Kommunikationsberaterin und Coach – für gelingende Gespräche, klare Führung und persönliche Entwicklung.

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2 Antworten

  1. Ein schönes Märchen, an das ich allerdings nicht so recht glauben kann. Könnte unter einigen wenigen Menschen im kleinen Rahmen funktionieren…aber niemals mit allen bzw. als gröszere Gemeinschaft. Das erfordert einfach mehr Selbstdisziplinund Gemeinsinn als viele Menschen haben und gewohnt sind. Schon in einer WG gibts Frust, wenn Abwasch und Toilettenputzen immer an den selben Leuten hängen bleibt. Und was ist, wenn eine werdende Mutter Hilfe braucht und die Hebamme „braucht“ selbst grad etwas anderes oder möchte nachts um 3 lieber schlafen??? – Dann krieg doch Dein Baby schon mal alleine – – – und ob dann wirklich jemand anderes bereit steht, der die nötige HIlfe leisten kann – (?)

    Schulzwang ist oft kontraproduktiv, aber nicht jedes Kind hätte m.E. von selbst das Bedürfnis, Lesen zu lernen oder etwas anderes, das nötig ist, damit Gemeinschaft funktioniert. Und auch nicht jeder Erwachsene tut das. Das führt über längere Zeit eher zu Verwahrlosung.
    Ist meine Meinung. Es hängt ja doch immer sehr viel mehr daran, als man auf den ersten Ansatz so annimmt.

    Mir fiel beim Lesen heute vormittag unwillkürlich ein Gedicht von Eva Strittmatter ein, auch wenn es nicht so ganz paszt und etwas anders war im Wortlaut, wie ich es in Erinnerung hatte. Habe es mal rausgesucht:

    Abhängigkeit

    Wir leben in einem System
    Von Verbindlichkeiten und Abhängigkeiten,
    Für das wir Steuern zahlen. Mit Recht. Allein
    Können wir unser Recht nicht erstreiten.
    Wir vertrauen darauf, daß Brot zu uns kommt
    Und Strom für das Licht und die Wasserleitung,
    Daß Papier produziert wird zum Druck des Gedichts
    und ebensogut für die Tageszeitung.
    Der Müll soll weg sein, die Strasze gekehrt,
    und Oper soll gehn jeden Abend um acht.

    Wer sich über Abhängigkeiten beschwert,
    Hat, was er bedarf, nicht richtig bedacht.

    – Eva Strittmatter –

    aus: „Heliotrop“
    Aufbau Verlag Berlin und Weimar, 1983

    1. Danke Dir für Deine Gedanken und das Gedicht! 🌿 Ich glaube wirklich: Wenn wir weniger gestresst wären, würden wir einander viel öfter und ganz selbstverständlich helfen 🤝💛. Weil das eigentlich in uns angelegt ist. Du hast recht, wir sind da noch weit davon entfernt. Ich überlege immer wieder, wie es klappen könnte. Liebe Grüße Andrea

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