Wenn Vertrauen zur Falle wird

Zwei Frauengeschichten, ein System – und was wir daraus lernen können

Dieser Text ist im Nachgang zu meiner ersten Blogparade zum Thema Führungserfahrungen entstanden.
Die Resonanz war enorm – nicht nur in den offiziellen Beiträgen, sondern auch in persönlichen Gesprächen. Einige Geschichten gingen mir besonders unter die Haut. Und sie zeigen:
Hinter vielen Führungserfahrungen steckt ein Muster, das selten ausgesprochen wird – aber viele betrifft.

Es geht um Vertrauen. Um Loyalität. Um den Wunsch, gemeinsam etwas zu bewegen.
Und darum, wie genau das in einem System ausgenutzt werden kann.

👉 Hier geht’s zur Zusammenfassung der Blogparade https://www.andreasam.com/zusammenfassung-blogparade-cheferfahrungen/

Geschichte 1: Der charmante Chef

Seit 1996 arbeitete sie in einem großen Unternehmen. Jahrzehntelang war sie loyal, verlässlich, engagiert. Ihr Chef – charmant, jovial, immer ansprechbar – vermittelte das Gefühl, sich zu kümmern.
„Meine Tür steht immer offen“, sagte er. Und sie glaubte ihm.

Sie war eine von vielen Frauen, die dachten: Es geht doch nicht um mich. Hauptsache, wir ziehen gemeinsam an einem Strang.
Er sollte gut dastehen – sie half ihm dabei. Auch wenn er ihre Präsentationen als seine ausgab. Auch wenn er versprach, sich für sie einzusetzen – und es nie tat.

Vertrauensvoll erzählte sie ihm von einer schweren Diagnose. Kurz darauf wusste es nicht nur seine Geliebte (er war übrigens verheiratet), sondern auch alle Hauptabteilungsleiter.
Seine Erklärung: „Ich dachte, das sei das Beste für dich.“

Als sie zusammenbrach, galt sie plötzlich als instabil, überfordert, „nicht belastbar“.
Er hingegen blieb im Unternehmen hoch angesehen – ging offiziell in den Ruhestand und kam als Berater zurück. In denselben Bereich. Für sie eine permanente Belastung.

Geschichte 2: Die Fleißige, die übersehen wurde

Eine andere Frau. Anderes Unternehmen. Gleiches Muster.

Sie machte dieselbe Ausbildung wie ihr Chef, war introvertiert, fleißig, loyal. Kaffeerunden hielt sie für Zeitverschwendung – es gab schließlich genug zu tun.
Sie erstellte Vorlagen, machte Überstunden, sprang ein, wo es nötig war. Ihr Chef sagte: „Ich nehme dich mit, ich kümmere mich.“
Und sie glaubte ihm.

Dann wurde er befördert. Sie blieb.
Er zog weiter, sie hielt den Bereich am Laufen.

Als sie älter wurde, nicht mehr so jugendlich wirkte, wurde sie ersetzt.
Nicht, weil sie schlecht war – sondern weil sie „nicht mehr passte“.
Sie hatte nie eine Affäre mit ihm. Aber sie war „nützliches Beiwerk“. Und ersetzbar.

Sie fiel in ein Burnout, bekam eine Frühverrentung. Bis heute – zehn Jahre später – ist sie nicht gesund. Sie ist überzeugt: Der Chef steckt noch immer hinter der Haltung des Unternehmens ihr gegenüber.

Was diese Geschichten gemeinsam haben

Beide Frauen waren loyal.
Beide glaubten an das große Ganze.
Beide verzichteten bewusst auf Karriere, Status, Sichtbarkeit – weil ihnen das Ergebnis wichtiger war als der Applaus.
Und beide zahlten einen hohen Preis.

Denn:

Das System belohnt nicht Loyalität. Es belohnt Sichtbarkeit, Macht und Strategie.

Es sind nicht nur Frauen

Auch Männer geraten in solche Konstellationen – vor allem, wenn sie ähnlich ticken:

  • wenn sie ein geringes Ego haben
  • wenn sie nicht im Mittelpunkt stehen müssen
  • wenn sie großzügig geben, ohne sich selbst wichtig zu nehmen
  • wenn sie hoffen, dass alle gemeinsam ziehen – und nicht merken, dass andere steuern

Wer ist besonders gefährdet?

Menschen, die sagen:

  • „Ich brauche keine Karriere – das können andere besser.“
  • „Hauptsache, es läuft gut für alle.“
  • „Ich will einfach, dass wir gemeinsam ein gutes Ergebnis erzielen.“

Sie haben das große Ganze im Blick.
Sie denken mit, übernehmen Verantwortung, halten den Laden zusammen – ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen.

Sie sind nicht geldgierig. Im Gegenteil: „Geld ist nicht alles.“
Sie verzichten – auf Anerkennung, auf Bezahlung, auf Schutz.
Sie machen Überstunden, ohne sie zu dokumentieren. Sie springen ein, wo andere Nein sagen würden.

Und aus meiner Sicht:

Es sind genau diese Menschen, die das Potenzial zu echten Führungskräften haben.

Nicht, weil sie sich nach Macht oder Titeln sehnen –
sondern weil sie nicht inszenieren müssen.
Weil sie die Sache im Blick haben. Und die Menschen.

Sie brauchen keine Beweihräucherung, kein Machtspiel, keine Bühne.
Sie führen oft längst – im Hintergrund, leise, tragend.

Wenn mehr von ihnen bereit wären, offizielle Führungsrollen zu übernehmen –
dann hätten wir eine neue Art von Führung:
menschlich, klar, verbindlich.
Und wirklich teamfähig – ohne Konkurrenzgehabe.

Was hilft?

  1. Genau hinsehen.
    Wer sorgt hier eigentlich für wen?
    Ist meine Arbeit sichtbar? Wird sie anerkannt – oder nur still genutzt?
    Wie verhält sich mein Chef gegenüber anderen? Fair, zuverlässig, konsequent – oder wechselhaft, strategisch, berechnend? Ich erinnere mich an eine Chefin, die eine Kollegin systematisch mobbte. Da war mir klar: Ich bin als Nächste dran.
    Ich habe gekündigt, kurz bevor es so weit war.
    Oft erkennt man Muster – nicht zuerst bei sich, sondern im Umgang mit anderen.
  2. Sich selbst ernst nehmen.
    Die eigenen Arbeitszeiten. Den eigenen Urlaub.
    Die eigenen Bedürfnisse.
    Wenn der Partner irgendwann ruft: „Du arbeitest nur noch!“ – dann bitte nicht abtun, sondern genau hinsehen.
    Und sich fragen: Warum engagiere ich mich so? Warum ist mir das so wichtig? Dient es mir – oder einem Bild von mir?
  3. Die emotionale Logik hinterfragen.
    Wer etwas nicht braucht – Anerkennung, Geld, Karriere – hat oft gelernt, sich zurückzunehmen.
    Das ist eine Qualität. Aber sie darf nicht zur Falle werden.
  4. Sich bewusst machen, was nicht geregelt ist.
    Gerade in Familienunternehmen arbeiten viele Frauen mit – ohne Steuerkarte, ohne Vertrag, ohne Absicherung.
    Aus Liebe, aus Loyalität, aus Selbstverständlichkeit. Und wenn es dann zur Scheidung kommt – die man ja „niemals vorhersieht“ –, steht sie mit leeren Händen da. Keine Rentenansprüche, kein rechtlicher Anspruch auf Unternehmensanteile. In Familienunternehmen kommt zur beruflichen Loyalität oft noch die familiäre Bindung – und die kann ebenso blind machen wie verpflichten.
    Manchmal auf eine Weise, die langfristig schadet.
    Auch hier gilt: Nach sich schauen. Nicht nur für andere funktionieren.

Noch etwas zum Schmunzeln – oder zum Schlucken?

↪ Genau dieses Persönlichkeitsprofil habe ich einmal – mit einem Augenzwinkern – in meiner Stellenanzeige vom 1. April beschrieben.
Ein Text, der als Satire begann – und von vielen als bittere Wahrheit gelesen wurde.
👉 Zum Aprilscherz-Artikel: Die perfekte Mitarbeiterin

Und ich?

Ich arbeite mit Menschen – oft mit Frauen –, die solche Erfahrungen gemacht haben.
Die spüren, dass etwas nicht stimmt.
Die merken, dass sie sich verlieren – in einem System, das sie nie wirklich gesehen hat.

Ich helfe ihnen, wieder bei sich selbst anzukommen.
Die Muster zu erkennen.
Und neue Wege zu gehen.

Denn:

Loyalität ist keine Schwäche.
Aber sie braucht Klarheit – und Grenzen.

🔻 Dein nächster Schritt

🔹 Du willst besser verstehen, warum Du immer wieder in ähnliche Situationen gerätst?
🔹 Du spürst, dass sich in Dir etwas verändert hat – aber Du weißt noch nicht, wohin es geht?

👉 Dann melde Dich. Ich begleite Menschen, die sich klären wollen – und den Mut haben, genau hinzuschauen.

andrea@andreasam.com📩 Für privat bezahlte Coachings: https://www.andreasam.com/kontakt/


🏢 Für Führungskräfte über Fischer Consulting: www.fischer-consulting.de

Andrea Sam – Kommunikationsberaterin und Coach
Für klare Führung, gelingende Gespräche und persönliche Entwicklung.

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