Eine Folge aus der Serie: Spirituelle Wahrnehmung im beruflichen Umfeld
So gut wie jede:r von uns wurde schon einmal mit Suizid im nahen oder ferneren Umfeld konfrontiert – und sei es nur, weil wir darüber in der Zeitung gelesen haben.
Ein Suizid kann viele Gefühle in einem selbst berühren: über das Leben, über das eigene Leben, über Sterben, über „darf ich das denken?“ – und über vieles, was sonst noch in uns aktiviert wird.
Oft kommen auch Gedanken wie: Hätte ich das verhindern können? oder Hätte ich es merken müssen?
Im privaten Umfeld stehen meist persönliche Trauer und Nähe im Vordergrund. Wenn Suizid jedoch im Berufsalltag geschieht, bekommt er eine zusätzliche Dimension: Hier betrifft er nicht nur einzelne, sondern ganze Teams oder Abteilungen.
Dieser Artikel beleuchtet anhand zweier Beispiele aus meiner Praxis, was Suizid im beruflichen Kontext mit uns machen kann – und wie man als Führungskraft und Organisation gut damit umgeht.
Beispiel 1 – Der Direktor, der fehlte
Gemeinsam mit meinem Kollegen Bernhard Fischer von Fischer Consulting waren wir in eine modulare Führungskräftereihe eingebunden: sieben Blöcke à zwei Tage. Wir selbst begleiteten nur den ersten und den letzten Block – die übrigen Module führten andere Trainer:innen durch.
In Block 1 machten wir beides: ein Seminar für die ganze Gruppe und parallel dazu Einzelcoachings. Weil wir zu zweit arbeiten, ist diese vertiefte Arbeit möglich – einer führt das Seminar, der andere hat Zeit für das persönliche Gespräch.
In einem dieser kurzen Coachings – es war eine knappe Stunde – fiel mir bei einem Teilnehmer eine starke emotionale Reaktion auf eine private Trennung auf. Ich war irritiert, legte das Gefühl aber zur Seite. Es war ein Rhetorik-Coaching, und nach diesem kurzen Kontakt rückte der Gedanke wieder in den Hintergrund.
Wochen später sah ich eine Todesanzeige in der Zeitung. Der Arbeitgeber war derselbe wie bei unserem Teilnehmer – und tatsächlich, es war genau dieser Mann.
Als wir zum letzten Modul kamen, war er nicht mehr da. Die anderen Teilnehmer waren betroffen, aber niemand sprach es an. Also fragte ich:
„War nicht in dieser Gruppe Herr H. gewesen? Ich habe in der Zeitung gelesen, dass er gestorben ist.“
Zuerst Schweigen, dann kam Bewegung in die Gruppe. Nach und nach erzählten die Teilnehmenden, was sie wussten – und einer von ihnen sprach es schließlich offen aus: Es war Suizid. Von diesem Moment an konnte das Thema klar im Raum stehen. Jeder Einzelne im Raum hatte eine direkte Verbindung zu diesem Fall – der Verstorbene war nicht nur bekannt, sondern Kollege in derselben Fortbildungsreihe gewesen.
Im Raum saß auch sein Stellvertreter – direkter Kollege – und der neue Chef, der noch an einer anderen Stelle arbeitete, sich aber schon auf diesen Karriereschritt vorbereitete. Für ihn bedeutete der Aufstieg auch: Er kam schneller an die Position, weil sich jemand das Leben genommen hatte.
Das offizielle Thema des letzten Blocks war Führung. Doch wir hatten die Freiheit, die Möglichkeiten und die Erfahrung, auf das einzugehen, was gerade wirklich im Raum stand. Und das war – unausgesprochen, aber für alle spürbar – der Suizid von Herrn H. Wir griffen dieses Thema auf und bearbeiteten es so, dass es für alle im Raum relevant und hilfreich war.
Wir reflektierten gemeinsam, welche Gedanken und Gefühle in so einer Situation auftauchen können. Die typischen Fragen standen im Raum: Hätte ich etwas merken können? Hätte ich etwas tun können? Was haben wir zuletzt gemeinsam erlebt? Ob man den Verstorbenen mochte oder nicht – auch das wurde ausgesprochen. Manche wollten schnell wieder in den Arbeitsmodus wechseln, andere trugen die Betroffenheit noch lange mit sich.
Jeder Umgang ist individuell. Er lässt sich nicht verordnen und nicht einfach „wegschieben“. Wie viele andere einschneidende Erlebnisse bleibt auch so ein Ereignis im Kopf und im System präsent – egal, ob Führungskräfte das wahrhaben wollen oder nicht.
Wir sprachen mit Einzelnen über ihre persönliche Situation, über ihre Aufgaben und darüber, wie sie zuerst mit sich selbst, dann mit ihrem Umfeld umgehen konnten. Es war – trotz oder gerade wegen des Themas – ein intensives Seminar, das uns sehr verbunden hat. Selten hatten Menschen aus diesem Unternehmen so offen über ihre Gefühle und die Situation gesprochen. In gewisser Weise hatte der Verstorbene uns noch ein Geschenk gemacht. Und die Führungskräfte gingen mit klaren Handlungsempfehlungen für ähnliche Situationen nach Hause.
Beispiel 2 – Der Sprung vom Felsen
In einem anderen Kontext – ein Familienunternehmen – spielten zwei Schwestern eine Rolle, die in eine merkwürdige Konkurrenz zueinander geraten waren. Beide waren mit einer dritten Frau befreundet. Eines Morgens schlich sich diese Frau aus dem Haus, ging zu einem Felsen und sprang in die Tiefe. Sie hinterließ eine halbwüchsige Tochter.
Kurz darauf kam eine der Schwestern zu mir. Sie war aufgewühlt, voller Sorgen und fragte sich, ob sie etwas falsch gemacht hatte. Sie wollte verstehen, was geschehen war. Schon in unserem Gespräch merkte ich, dass sie für spirituelle Sichtweisen offen war – immer wieder ließ sie Andeutungen und Bilder einfließen, die darauf hindeuteten. Deshalb schlug ich vor, eine Frau mit seherischen Fähigkeiten hinzuzuziehen, um die Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Die Kundin stimmte zu. So trafen wir uns zu dritt: die Kundin, die Seherin und ich.
Meine Aufgabe war es, den Inhalt zu verdichten, die zentralen Fragen zu stellen und darauf zu achten, dass wir bei den entscheidenden Punkten blieben. Es war ein intensiver Prozess, in dem es Phasen gab, in denen wir klare Antworten erhielten – und andere, in denen Dinge bewusst unausgesprochen blieben.
Der Streit der beiden Schwestern spielte für die Verstorbene keine Rolle. Sie war in ihre eigene Geschichte verstrickt. Es wurde deutlich, dass ihr Vater – der ebenfalls Suizid begangen hatte – sie zu sich „gerufen“ hatte. Der Sog war so stark, dass sie nicht mehr dagegen ankam und auch keinen Weg suchte, um sich dagegen zu stellen.
Am Ende dieses Prozesses war spürbar mehr Ruhe. Die Verstorbene konnte gehen, und die Schwester wusste, wie sie mit der Tochter umgehen sollte – und ebenso, was sie besser lassen sollte.
Ob man an die Sichtweise einer Seherin glaubt oder nicht: Für mich waren es klare Hinweise auf den inneren Vorgang. Vor allem aber war es für die Schwester eine Möglichkeit, mit dieser Situation in Frieden zu leben.
Wie mit Suizid im Unternehmen umgehen
Mit dem Wissen, dass ein Suizid die meisten Menschen berührt und beschäftigt, ist es sinnvoll, das Thema nicht totzuschweigen, sondern die offiziell bekannten Fakten zu benennen und klar anzusprechen.
Zu Beginn kann die Sprache lauten:
„Das ist für viele von uns ein Schock. Wir sind betroffen, und jede:r denkt daran, ob und wann wir zuletzt Kontakt hatten. Das wird jetzt ein paar Tage dauern. Was an Fakten bekannt ist, darf benannt werden. Ist noch nichts bestätigt, kann man sagen: ‚Es gibt bisher keine offiziellen Fakten, alles andere sind im Moment Spekulationen.‘“
Nach einigen Tagen oder wenn Entscheidungen anstehen, ist es hilfreich, das Geschehen bewusst einzubinden:
„Es fühlt sich vielleicht so an, als ob er erst gestern noch durch unsere Räume gelaufen ist. Aber es ist jetzt schon zwei Wochen her. Die aktuelle Situation erfordert es, dass wir handeln – deshalb übernimmt ab sofort…“
Wichtig ist, sich über die eigene Gefühlslage klar zu sein und zu erkennen, womit die anderen beschäftigt sind – und das ohne Scheu direkt anzusprechen. An den Reaktionen kann man merken, wo jemand steht und ob es noch ein Thema ist.
Doch das tut weder einem selbst noch dem Unternehmen gut. Wenn man es zudeckt oder verschweigt, wirkt es im System dauerhaft nach – oft unbewusst – und kann für spätere Mitarbeiter sogar zu einer inneren Blockade werden.
Ich habe schon einige Unternehmen begleitet. Am besten und entspanntesten geht es damit um, wenn klar ist: Herr oder Frau XY hat zu uns gehört. Für ihn oder sie war etwas nicht mehr aushaltbar, deshalb hat er oder sie das Leben beendet.
Noch schwieriger ist es, wenn der Suizid auf dem Firmengelände stattgefunden hat. Hier lohnt sich eine tiefere energetische Arbeit – oder, bekannter, ein Gebetskreis.
Was beide Fälle zeigen
So unterschiedlich die beiden Situationen waren – in beiden ging es um mehr als nur das Geschehen selbst. Es ging um die Menschen, die zurückbleiben. Um ihre Fragen, ihre Schuldgefühle, ihre Suche nach Sinn.
Ein Suizid wirft nicht nur die private Welt durcheinander, sondern auch das berufliche Umfeld. Rollen verschieben sich, Beziehungen verändern sich, unausgesprochene Spannungen tauchen auf. Und es zeigt sich: Schweigen schützt manchmal, aber oft ist es das offene Gespräch, das entlastet.
Für mich bedeutet Begleitung in solchen Momenten: Raum halten. Hinhören. Aussprechen, was sonst unausgesprochen bleibt. Menschen helfen, zuerst mit sich selbst klarzukommen – und dann handlungsfähig zu werden, ob als Führungskraft, Kollegin oder Freundin.
Suizid ist kein Thema, das wir mit einem Satz abhaken können. Aber wir können entscheiden, ob wir den Schmerz und die Fragen im Verborgenen lassen – oder ob wir ihn gemeinsam anschauen und dadurch ein Stück tragen helfen.
Gemeinsam einen guten Umgang finden
Suizid im Unternehmen hinterlässt Spuren – ob wir darüber sprechen oder nicht.
Als Führungskraft haben Sie die Möglichkeit, das Schweigen zu brechen, Orientierung zu geben und Ihrem Team zu zeigen: Wir sehen einander.
Aus Erfahrung weiß ich: Wenn Menschen einen sicheren Raum bekommen, in dem sie ihre Gedanken und Gefühle ausdrücken dürfen, entsteht Klarheit – und das System kann sich beruhigen.
Gemeinsam mit Fischer Consulting schaffen wir genau diesen Rahmen:
- in akuten Fällen, wenn ein Ereignis gerade passiert ist,
- und vorbeugend, um ein Klima zu gestalten, in dem Belastungen früher gesehen werden.
Denn Offenheit schützt nicht nur vor Eskalationen – sie stärkt auch das Vertrauen im Unternehmen.
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Wenn Sie tiefer einsteigen möchten, wie spirituelle Wahrnehmung im Berufsalltag wirken kann – auch in sensiblen Situationen wie dieser – lesen Sie hier meinen Überblicksartikel:
➡️ Spiritualität im Berufsalltag – klar, spürbar, wirksamGemeinsam einen guten Umgang finden
Andrea Sam, Kommunikationsberaterin und Coach – für gelingende Gespräche, klare Führung und persönliche Entwicklung.