Emotionen begleiten uns durch unser ganzes Leben. Und doch lernen wir kaum etwas darüber – es sei denn, wir beschäftigen uns gezielt mit Psychologie. Es wirkt fast so, als ob man automatisch wissen müsste, wie man mit Gefühlen umgeht.
👉 Einen umfassenderen Überblick findest Du hier: Gefühle im Arbeitsleben
Gerade im Arbeitsalltag zeigt sich das besonders deutlich:
Eine Kollegin macht etwas, das uns triggert – und plötzlich ist die Emotion da.
Wir reagieren heftig, obwohl die Situation von außen betrachtet gar nicht so groß wirkt.
Die Realität ist: Wut, Ärger, Traurigkeit oder Verletzungen überrollen uns oft. Wir reagieren gegen uns selbst oder gegen andere – und merken hinterher, dass das weder hilft noch gut tut.
Es gibt viele Wege, mit Emotionen besser umzugehen.
In diesem Artikel beschreibe ich eine Methode, die tiefer geht als das bloße „ruhig bleiben“ oder „bis zehn zählen“.
Sie fordert uns heraus – weil sie genau hinschaut, woher die Emotion wirklich kommt.
Und gerade dadurch eröffnet sie neue Möglichkeiten, mit Konflikten klarer und freier umzugehen.
Umgang mit Emotionen: Spüren statt ausagieren
Der erste Schritt ist, die Emotion überhaupt wahrzunehmen.
Denn egal, woher sie kommt – zunächst hat sie immer mit mir selbst zu tun.
Es gilt, die Emotion zu spüren und zu fragen: Wie gehe ich mit dieser Emotion um?
In der Psychologie gilt die Regel:
- nicht gegen sich richten
- und nicht gegen andere richten.
Gegen mich selbst heißt: indem ich Dinge tue oder zulasse, die mir nicht gut tun.
Das reicht von quälenden Gedanken und Selbstzweifeln über Magenschmerzen oder andere körperliche Beschwerden – bis hin zu Formen von Selbstverletzung.
Gegen andere meint in der Psychologie die extreme Form der Gewalt. Doch es beginnt viel früher: auch in Worten, Vorwürfen oder emotionalem Angriff spüren andere die Wucht meiner Emotion.
Beides führt selten zu Klarheit – sondern verschärft die Situation.
Emotionen im Arbeitsalltag: Auslöser oder Ursache?
Doch sobald wir mitten in einer Emotion stecken, fühlt es sich fast immer sehr berechtigt an. So, als ob der andere für diese Emotion verantwortlich sei. Deshalb glauben wir, er müsse auch die Konsequenzen tragen.
Wenn wir jedoch genauer hinschauen, stellen wir fest: Emotionen kommen selten nur aus dem Hier und Jetzt.
Und ja, an diesem Punkt fühlen sich viele schon getriggert:
„Ich weiß doch genau, was die Kollegin gemacht hat – das geht gar nicht! Ich lasse mir nicht einreden, dass etwas anderes die Ursache ist!“
Die Ursache ist vielleicht nicht die Kollegin, sondern sie ist nur der Auslöser.
Das zu unterscheiden ist entscheidend:
- Auslöser = im Hier und Jetzt
- Ursache = meist tiefer in uns, in unserer Geschichte oder gar in unserer Ahnenlinie verwurzelt.
Dieses Unterscheiden schafft Klarheit: Der Auslöser ist zwar da – aber die eigentliche Ursache liegt tiefer.
➡️ Also: erst einmal durchatmen.
Alte Emotionen erkennen: Eine praktische Übung
Manchmal fällt uns die eigentliche Ursache nicht sofort ein.
Dann lohnt es sich, die aktuelle Situation genauer zu betrachten und auf die Kernpunkte herunterzubrechen. So wird sichtbar, welche alten Muster im Hintergrund wirken.
Übung: Den inneren Spiegel nutzen
- Nähe und Distanz einstellen
Stellen Sie sich Ihre Konfliktpartnerin oder Ihren Konfliktpartner vor.
Bringen Sie die Person innerlich so nah heran, wie Sie es ertragen können.
Oder schieben Sie sie so weit weg, wie es Ihnen gut tut.
So entsteht ein Abstand, in dem Sie die Emotionen noch spüren – aber nicht von ihnen überrollt werden. - Unschärfe-Blick ausprobieren
Schauen Sie die Person unscharf an. Fragen Sie sich:
An wen erinnert sie mich? - Genau hinschauen
Betrachten Sie die Person deutlicher. Fragen Sie sich:
Wem aus meiner Familie ist sie ähnlich? - In den Körper spüren
Achten Sie darauf, welche Empfindungen im Körper auftauchen, wenn Sie diese Person vor sich sehen.
Gibt es Druck, Schmerz, Spannung oder auch nur feine Regungen? - Erinnerungen wachrufen
Merken Sie sich diese Empfindungen.
Schieben Sie dann die Person innerlich zur Seite – und fragen Sie sich:
Kenne ich diese Empfindungen schon von früher?
Mit welchen Situationen aus meiner Vergangenheit sind sie verbunden?
Oft taucht dann eine konkrete Erinnerung auf – und damit ein Hinweis auf die eigentliche Ursache der Emotion.
Die Überblendung verstehen: Vergangenheit trifft Gegenwart
Wenn die alte Situation sichtbar wird, passiert ein Aha-Moment:
Ich erkenne, dass die Kollegin von heute bei mir die gleichen Gefühle auslöst wie Onkel Albert damals.
➡️ Das heißt: Die Emotion gehört ursprünglich nicht zur Kollegin, sondern zu meiner Geschichte.
Allein diese Erkenntnis verändert schon etwas. Denn ich merke: Das heutige Verhalten triggert zwar – aber die eigentliche Wucht stammt aus der Vergangenheit.
Umgang mit Emotionen: Den Unterschied im Jetzt spüren
Nun kann ich mich fragen:
- Was macht die Kollegin konkret?
- Ist das Gefühl wirklich noch so stark wie damals?
- Oder merke ich, dass ein Teil davon eigentlich zu Onkel Albert gehört?
Oft reicht diese Unterscheidung, um entspannter zu reagieren.
Und wenn nicht, kann ich ausprobieren, was ich damals nicht konnte:
- klare Grenzen setzen
- mich ausdrücken, statt zu schlucken
- die Situation verlassen
Manchmal wirkt das sofort, manchmal nicht. Aber allein das Ausprobieren öffnet neue Wege.
Vom Gefühl zur Sachebene im Arbeitskontext
Wenn die Emotion kleiner geworden ist, hilft es, ganz bewusst in den Analyse-Modus zu gehen:
- Was genau macht die Kollegin?
- Kann ich es beschreiben, ohne Emotionen hineinzugeben?
Beispiele:
- „Sie atmet tief und laut durch.“
- „Sie öffnet das Fenster, wenn ich es geschlossen haben will.“
Dann prüfe ich: War das jetzt wirklich sachlich beschrieben?
Aus dieser Sachlichkeit heraus kann ich Folgen benennen und Bitten formulieren:
- „Das und das machst Du.“
- „Das hat für mich die und die Konsequenzen.“
- „Und ich bitte Dich um …“
Das ist kein Vorwurf, sondern ein Aufzeigen.
Annahmen prüfen – ins Gespräch gehen
Und schließlich lohnt sich der Schritt ins Gespräch.
Statt in Annahmen zu bleiben („Sie macht das absichtlich, weil …“), frage ich nach:
- „Warum machen Sie das?“
Wichtig: ohne Unterton, ohne Vorwurf – sondern mit echter Neugier.
Oft zeigt sich dann eine ganz andere Motivation oder ein Hintergrund, von dem ich nichts wusste.
Im nächsten Schritt geht es darum, meine eigene Wirkung zu benennen. Das gelingt am besten mit einer Ich-Botschaft, zum Beispiel:
- „Wenn Sie das Fenster öffnen, während ich friere, dann fühle ich mich übergangen.“
- „Wenn Sie tief seufzen, während ich spreche, verunsichert mich das.“
Wie Du durch echtes Zuhören in solchen Momenten weiterkommst, erkläre ich im Artikel: Was ist aktives Zuhören?
Mehr zu Ich- und Du-Botschaften findest Du in meinem Beitrag: Ich und Du Botschaften
So wird deutlich: Es geht nicht um Mehr zu Ich- und Du-Botschaften findest Du in meinem Beitrag: [Titel Deines Artikels zu Ich-/Du-Botschaften] 👈Schuld, sondern darum, wie das Verhalten bei mir ankommt – und was ich mir stattdessen wünsche.
Damit entsteht eine erste Form von Klärung – und eine Begegnung, die tiefer reicht als die bloße Oberfläche des Konflikts.
Fazit: Die Hauptarbeit liegt bei mir
Wir haben jetzt verschiedene Stufen und Möglichkeiten gesehen, wie man mit Emotionen umgehen kann:
- sie wahrnehmen, ohne sie gegen mich oder andere zu richten
- Auslöser und Ursache unterscheiden
- alte Situationen erkennen und von der Gegenwart trennen
- die Sachebene bewusst anschauen
- ins Gespräch gehen – neugierig und ohne Vorwurf
Und dabei wird deutlich: Es hat erstaunlich wenig mit meinem Gegenüber zu tun.
Gerade im Arbeitsalltag ist es verführerisch, die eigenen Emotionen sofort auf Kolleg:innen, Vorgesetzte oder Mitarbeitende zu richten. Doch das einfache Ausagieren bringt selten eine Lösung – weil die eigentlichen Ursachen tiefer liegen.
Die eigentliche Hauptarbeit findet in mir selbst statt:
- Die Klärung beginnt bei mir.
- Erst wenn ich meine eigenen Gefühle verstanden habe, kann ich mit anderen klar und professionell kommunizieren.
- Und vieles, was im Team oder im Miteinander unüberwindbar wirkt, verliert seine Schärfe, sobald ich die wahre Ursache erkenne.
So wird deutlich: Mit Emotionen gut umgehen zu können ist nicht nur eine persönliche Fähigkeit, sondern eine Schlüsselkompetenz für gelingende Zusammenarbeit.
Warum innere Haltung oft wichtiger ist als Worte, beschreibe ich ausführlicher im Artikel: Warum Haltung wichtiger ist als Worte.
Checkliste: 5 Schritte im Umgang mit Emotionen im Arbeitsalltag
Damit Du die Methode leicht im Alltag anwenden kannst, habe ich die wichtigsten Schritte hier für Dich zusammengefasst:
- Spüre Deine Emotion
– Nimm wahr, was Du fühlst.
– Richte die Emotion weder gegen Dich selbst noch gegen andere. - Unterscheide Auslöser und Ursache
– Frage Dich: Gehört das Gefühl wirklich zur aktuellen Situation – oder erinnert es an etwas Früheres? - Mach die Ursache sichtbar
– Nutze den „inneren Spiegel“: Wen erinnert Dich die Person? Welche Gefühle tauchen auf? Welche Situation aus Deiner Vergangenheit passt dazu? - Kehre ins Jetzt zurück
– Beschreibe sachlich, was die Kollegin konkret tut.
– Überlege: Was genau will ich? Welche Bitte habe ich? - Gehe ins Gespräch
– Frage neugierig: „Warum machen Sie das?“
– Formuliere eine Ich-Botschaft: „Wenn Sie …, dann fühle ich …, und ich wünsche mir …“
Dein nächster Schritt
🔸 Wenn Du für Dich selbst Klarheit im Umgang mit Emotionen suchst, begleite ich Dich gerne – persönlich und vertraulich. Melde Dich hier
🔸 Wenn es um Führungskräfte, Teams oder ganze Organisationen geht, arbeite ich gemeinsam mit meinem Bruder bei Fischer Consulting. Dort verbinden wir Kommunikation, Strategie und Struktur – für wirksame Führung.
Je besser ich meine eigenen Emotionen kenne, desto klarer kann ich mit anderen umgehen – ob im Büro, im Team oder im Leben.
Andrea Sam, Kommunikationsberaterin und Coach – für gelingende Gespräche, klare Führung und persönliche Entwicklung.
2 Antworten
Wunderbar praktisch eine Anleitung zum prüfen, vielen Dank
Vielen Dank, liebe Heike 💕