Der Mythos der Sachlichkeit
Im Arbeitsleben heißt es oft: „Hier geht es sachlich zu, Gefühle haben hier keinen Platz.“
Aber wohin verschwinden Gefühle dann? Sind sie abends wieder da, wenn wir privat sind? Oder haben wir als Geschäftspersonen keine?
Meine Erfahrung aus vielen Beratungen und Workshops zeigt: Gefühle sind immer da – sichtbar oder unsichtbar. Sie prägen unser Handeln, auch wenn wir so tun, als wären sie nicht vorhanden.Der Mythos der Sachlichkeit
Gefühle am Arbeitsplatz – sichtbare Beispiele
Viele Frauen haben mir erzählt, dass sie schon weinend beim Vorgesetzten saßen. Viele Chefs – gerade Männer – wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Manche erleben es sogar als Machtspiel. Dabei steckt oft etwas anderes dahinter: Ohnmacht, Überforderung, Betroffenheit.
In Bereichen, in denen viele Frauen zusammenarbeiten, tun sich männliche Chefs manchmal schwer. Sie empfinden es als Gezanke oder Gestreite, verstehen die Dynamik nicht. Und doch gibt es auch Frauenbereiche, die hervorragend funktionieren: mit Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung.
Frauen sind nicht automatisch die besseren Führungskräfte. Aber sie kennen bestimmte Dynamiken oft besser – und können leichter damit umgehen. Entscheidend ist nicht das Geschlecht, sondern die Fähigkeit, Gefühle wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
Konflikte und Emotionen
Immer wieder werden wir bei Fischer Consulting (mein Arbeitgeber) wegen Konflikten gerufen. Unser Vorgehen ist individuell, schrittweise, prozessorientiert.
Ein erster Schritt ist oft das Zuhören: Was ist der Konflikt? Zwischen wem zeigt er sich? Mit Auftraggeber und Führungskraft klären wir die Sichtweisen. Bald zeigt sich: An Konflikten sind fast immer mehr Menschen beteiligt, als es zunächst scheint.
Ein Beispiel: An einer Universität waren viele Workshops nötig, um die Konflikte zu sortieren und den Bereich wieder arbeitsfähig und profitabel zu machen.
Viele glauben, man müsse sofort die Konfliktparteien zusammensetzen. Manchmal geht das. Oft sind die Emotionen aber so heftig, dass sie den Inhalt überlagern. Der sachliche Kern ist dann kaum hör- oder vermittelbar.
Genau da komme ich als Dolmetscherin ins Spiel: Ich arbeite heraus, worum es wirklich geht. So wird sichtbar, ob die Erwartungen realistisch sind – oder ob der andere vor allem Projektionsfläche ist.
Darum führe ich viele Gespräche zuerst einzeln. So kann jede:r das Gesicht wahren, bevor es in die gemeinsame Klärung geht.
Und manches Mal wurde ein Konflikt auch indirekt besser – allein dadurch, dass die Führungskraft ihre Rolle verstanden und neu eingenommen hat.
Gefühle verschwinden nicht
Gefühle sind nicht weg, nur weil sie nicht gezeigt werden. Sie suchen sich andere Ausdrucksformen: Ironie, Angriffe, Lästern, endlose Monologe.
Die Worte klingen dann vielleicht vernünftig. Aber mitschwingend wird etwas ganz anderes erzählt.
In der Kommunikation spricht man von Sachebene und Beziehungsebene. Für mich ist die treffendere Formulierung: „Das, was eigentlich erzählt wird.“
In meinen Beratungen zeige ich oft: Neben den vernünftigen Worten läuft immer noch eine zweite Botschaft mit – hörbar im Tonfall, sichtbar in der Körpersprache, spürbar in der Haltung.
Besprechungen – was wirklich passiert
Besonders deutlich wird das in Besprechungen.
Es lohnt sich zu fragen:
- Wer spricht wie lange?
- Wer fällt wem ins Wort?
- Wer kommt zu spät, wer geht ans Telefon, wer verlässt den Raum?
All das erzählt eine Geschichte – unabhängig vom offiziellen Thema.
Ein Beispiel: Offiziell geht es in einer Sitzung um eine Fusion. Mitschwingend geht es um ganz andere Dinge: „Wir mögen uns eigentlich.“ – „Diese Fusion ist Unsinn.“ – „Uns geht es gut, wir brauchen niemanden.“
Gerade im Vertrieb wird das sichtbar. Nach außen wirkt alles sachlich: „Ich bin toll. Meine Firma ist toll. Unser Produkt ist toll. Und Du kannst auch toll sein, wenn Du mir dieses Produkt abkaufst.“
Doch darunter laufen Stimmungen, die viele von uns erkennen könnten – wären sie nicht vom Inhalt gefesselt oder gar gefangen.
Wenn Gefühle mehr zeigen als Worte
Einmal begleitete ich eine geplante Fusion. Während der Moderation sprach ich am Ende eines Abschnitts unter vier Augen mit einer Geschäftsführerin. Sie war noch neu in diesem Job. Für mich war klar: Ihre Art, sich auszudrücken, war entweder unbeholfen – oder bewusst taktisch.
Ich spiegelte ihr das zurück und sagte: „Sie wirken unklar. Ist das Absicht? Wenn nicht, helfe ich Ihnen gerne, sich klarer auszudrücken. Wenn es Strategie ist, mische ich mich nicht ein.“
Damit hatte sie die Wahl. Ohne viele Worte entschied sie sich für ihren Weg – und mir war sofort klar, wohin dieser Deal führen würde.
Die Männer auf der anderen Seite fühlten sich sehr überlegen und sicher. Sie merkten nicht, was wirklich los war. Ich hatte im Rahmen des Möglichen zwei-, dreimal nachgefragt. Doch die Männer waren so sehr auf ihrem eigenen Trip, dass sie auch meine Nachfragen nicht wahrnahmen.
Ein halbes Jahr später ließ die Geschäftsführerin die Fusion platzen. Für die andere Seite kam das völlig überraschend. Sie sagen heute noch: „Da konnte man nichts machen.“ – Stimmt nicht. Hätten sie genau zugehört und bei meinen Nachfragen die Ohren gespitzt, wäre es längst sichtbar geworden.
Entscheidungen aus dem Gefühl heraus
Erfolgreiche Manager wurden schon oft gefragt, wie sie zu einer bestimmten Entscheidung gekommen sind. Üblicherweise erzählen sie dann von logischen Fakten: welche Daten sie geprüft, welche Argumente sie abgewogen haben.
Das stimmt auch – doch hinter vorgehaltener Hand berichten viele etwas anderes: Da war ein Gefühl. Etwas, das sie gespürt haben. Etwas, das ihnen von innen her gesagt hat, wo es langgeht.
Das klingt nur nicht so professionell. Deshalb nennen sie es nicht öffentlich. Doch in Wahrheit war es oft ein Bauchgefühl, das den entscheidenden Ausschlag gegeben hat.
Natürlich gehört die Erfahrung dazu: Je länger jemand in einer Position ist, desto schneller kann er oder sie Situationen einschätzen, vergleichen und abgleichen. Aber der erste Impuls, die eigentliche Richtung, kommt bei vielen eben genau aus diesem Gefühl.
Den eigentlichen Geschichten zuhören
Bis ein Beratungsauftrag erteilt wird, ist oft schon viel Arbeit im Hintergrund geflossen. Denn so offensichtlich, wie manche Kunden denken, ist das Thema meist nicht.
Erst vor kurzem erhielten wir einen scheinbar klaren Auftrag: Wir sollten uns um die Mitarbeiter kümmern. Ja, das kann ich tun – und es tut den Mitarbeitern sicher gut.
Doch schon im Erstgespräch wurde deutlich: Das eigentliche Thema lag an einer ganz anderen Stelle. Wenn ich das anspreche, wird es mir manchmal so ausgelegt, als wolle ich den Auftrag „erweitern“. Dabei geht es nicht um mehr Arbeit, sondern darum, an der richtigen Stelle zu beginnen.
Manchmal nehmen wir dann eben den Umweg über die Mitarbeiter. Für die Leitung wirkt das weniger gefühlsbeladen – und trotzdem kommt man so Schritt für Schritt näher an das, was wirklich bearbeitet werden muss.
Gefühle zwischen den Zeilen – Anziehung und Tabus
Offiziell wissen alle: Flirt, Anziehung oder gar sexuelle Beziehungen haben im Arbeitsleben nichts zu suchen. Doch unter der Oberfläche wirken sie trotzdem.
Ich erinnere mich an einen Direktor, von dem alle sagten, er habe ein Verhältnis mit seiner Sekretärin. Später lernte ich seine Frau kennen und wusste sofort: Das stimmt nicht. Aber das Gerücht lebte weiter, und beide mussten mit dieser Unterstellung umgehen.
Andersherum habe ich erlebt, dass es sehr wohl Verbindungen gab – verborgen, offiziell, unerlaubt.
Manche Frauen erzählten mir, dass sie bewusst ihre Weiblichkeit eingesetzt haben, um Entscheidungen zu beeinflussen. Zunächst konnte ich das kaum glauben – bis ich einmal in einer Besprechung erlebte, wie ein Mann auffällig irritiert reagierte. Später erklärte er mir, das leichte Sommerkleid seiner Kollegin habe ihn so abgelenkt, dass er nicht mehr klar denken konnte.
Solche Gefühle sind tabuisiert, aber sie sind da. Und sie wirken.
Gefühle gehören zum Arbeitsleben
Gefühle können im Arbeitsleben sehr vielfältig sein – wie man anhand meiner Beispiele sehen kann. Gerade das Verstecken von Emotionen macht es nicht einfacher.
Ich bin nicht dafür, dass jede Emotion ungehemmt ausgelebt wird. Aber die Arbeit als Teil unseres Mensch-Seins und Lebens zu sehen – und nicht nur als einen Raum, in dem wir uns schützen und verstecken müssen, wie es leider viele tun –, das halte ich für wichtig.
Wenn es Dir emotional gut geht in Deinem Arbeitsumfeld: herzlichen Glückwunsch! Wenn nicht, dann sind hier ein paar Fragen, die Du Dir als Führungskraft stellen kannst.
Fragen an Dich als Führungskraft
- Welche Führungskraft will ich sein?
- Wie will ich mit Emotionen umgehen – mit meinen eigenen und mit denen anderer?
- Kenne ich meine eigenen Emotionen und meinen Standpunkt?
- Wie gehe ich mit den Emotionen meiner Mitarbeiter:innen um?
- Kann ich unterscheiden, was gesagt wird – und was mitschwingt?
Führung beginnt damit, Gefühle nicht zu verdrängen, sondern sie wahrzunehmen, einzuordnen und ihnen einen angemessenen Platz zu geben.
Mein Angebot
Genau dabei begleite ich Führungskräfte: Emotionen im Team wahrzunehmen, sie zu verstehen – und einen Weg zu finden, wie Du als Führungskraft gut mit solchen Situationen umgehen kannst.
Über FISCHER Consulting arbeiten wir gemeinsam daran, Konflikte zu klären, Kommunikation zu öffnen und Führung wirksam zu machen.
👉 Wenn Du spürst, dass in Deinem Team oder Unternehmen Emotionen eine größere Rolle spielen, als Dir lieb ist: Melde Dich gerne. Wir finden gemeinsam heraus, wie Du souverän und klar damit umgehen kannst.
Andrea Sam, Kommunikationsberaterin und Coach – für gelingende Gespräche, klare Führung und persönliche Entwicklung.