Kaffeegefühle – wie ein Cappuccino mich zum Weinen bringt

Ich untersuche mein Leben lang alles – und ich tue es immer noch. Mich selbst, andere Menschen, die Welt. Vor allem aber untersuche ich Gefühle: wie sie entstehen, was sie mit uns machen, und wie sie unsere Begegnungen und unsere Kommunikation prägen. Kaffee ist dabei ein spannendes Beispiel. Denn er ist überall: zu Hause, unterwegs und besonders im Arbeitsleben. In fast jedem Büro steht heute eine gute Maschine, Kaffee gehört zum guten Ton, man bietet ihn Gästen an, er begleitet Meetings und Pausen. Vielleicht gerade deshalb schaue ich so genau hin, was er mit mir macht – und welche Gefühle er in mir auslöst.

Meine Liebe zum Kaffee

Ich habe Kaffee geliebt. Wirklich geliebt.
Nicht einfach nur getrunken, sondern regelrecht zelebriert.

Auf unseren Urlaubsreisen haben wir ganze Touren nach besonderen Kaffeeröstereien ausgerichtet. Je mehr ich kennenlernte, desto gezielter suchten wir gute Läden auf. Ich wollte wissen: Was macht einen wirklich guten Kaffee aus? Für mich war das Kult, Lebensqualität.

Ich habe sogar einen Kurs besucht, um zu lernen, wie man Milch richtig aufschäumt. Der perfekte Cappuccino war eine Kunst – und ein Genuss, den ich mir oft gönnte.

In vielen Seminarorten standen wunderbare Kaffeemaschinen, und ich habe sie alle ausprobiert. Zuerst war es der Cappuccino in den Seminarpausen, später wich er dem Espresso. Irgendwann wurde ich zum Espresso-Junkie.

Einmal habe ich gezählt: 22 Tassen an einem Tag. Ja, wirklich. Ich fragte mich: Merke ich überhaupt etwas? Angeblich soll Kaffee wach machen – aber ich konnte nach meinem abendlichen doppelten Espresso genauso gut schlafen. Gesund war das sicher nicht, aber ich spürte keinen Unterschied.

Ich erinnere mich an eine Fastenzeit: Mein großes Ziel war, „nur“ 10 Kaffee am Tag zu trinken. Null konnte ich mir damals nicht vorstellen. Schon 10 statt 22 fühlte sich nach Verzicht an.

Akzeptabler Schaum… könnte feinporiger sein 🙂

Der Wendepunkt – Anthony William

2019 kam Anthony William in mein Leben. Ich war kurz zuvor krank gewesen, hatte ohnehin schon weniger Kaffee getrunken. Dann las ich bei ihm, dass Kaffee für den Körper nicht hilfreich ist.

Anthony William ist auch als „Medical Medium“ bekannt. Seine Bücher – allen voran „Mediale Medizin“ – haben weltweit viele Menschen erreicht. Er erklärt darin chronische Krankheiten auf eine ganz eigene Weise: mit Ursachen, die in der Schulmedizin meist nicht benannt werden, und mit klaren Ernährungsempfehlungen.

Seine Aussagen haben mich elektrisiert und nachdenklich gemacht. Besonders, weil er Kaffee als eine Art Giftstoff beschreibt, der direkt im Gehirn wirkt. Das konnte ich mir zuerst nicht vorstellen. Aber ich begann, genauer hinzuschauen und zu beobachten, was der Kaffee wirklich mit mir machte.

Nachdenklich machte mich ein Post einer Frau, die schrieb, ihr Mann würde vom Kaffee Depressionen bekommen. Das konnte ich kaum glauben. Auch er war – wie wir – jemand, der leidenschaftlich gerne Kaffeeröstereien besuchte. Für mich war klar: Das gilt nicht für mich.

Mein Reduktionsweg

Also begann ich, den Kaffee Schritt für Schritt zu reduzieren. Ganz langsam, sodass es für mich machbar blieb.

Zuerst strich ich die vielen doppelten Espressi – bis auf den nach dem Mittagessen 😉. Danach fragte ich mich bei jeder Tasse: Welcher Kaffee ist mir wirklich wichtig? Welcher beeinflusst meine Lebensqualität wirklich?

So wurde es nach und nach weniger:

  • von 22 am Tag auf 1–2,
  • dann nicht mehr als 7 in der Woche,
  • später 4,
  • und irgendwann nur noch einer im Monat.

Das war allerdings kein schneller Weg. Es war ein jahrelanger Prozess. Erst nach gut fünf Jahren war ich tatsächlich bei einer Tasse im Monat angekommen.

Je weniger ich trank, desto genauer konnte ich spüren, was Kaffee mit mir machte. Und plötzlich tauchte etwas ganz Neues auf.

Kaffee-Kunst. Latte Art. Richtig schäumen, Bilder zeichnen

„Breit sein“ – ohne zu kiffen

Ich selbst habe in meiner Jugend nur drei- oder viermal gekifft. „Breit sein“ habe ich damals nie so empfunden – bei mir löste es eher eine besondere Weltsicht aus.

Den Begriff „breit sein“ kannte ich aber von anderen. Und irgendwann, Jahre später, merkte ich plötzlich: Ich bin breit. Ohne Joint, ohne Drogen – nur nach einer Tasse Kaffee.

Es passierte, nachdem ich mit meinem Mann Kaffee getrunken hatte. Wir saßen zusammen, ich trank meinen Cappuccino mit Hafermilch. Wenige Minuten später kam dieses Gefühl: als würde ich mich ausdehnen, weich werden, wie in einer Wolke sitzen.

Ich genoss diesen Zustand. So sehr, dass ich meinen Mann bat, nicht zu sprechen, damit ich das Gefühl in Ruhe erleben konnte. Erst als es nach einer Weile nachließ, verließen wir das Café.

Auf dem Heimweg passierte dann immer wieder das Gleiche: Meine Augen begannen zu brennen, Tränen stiegen auf. Erst nur in den Augen – dann liefen sie einfach heraus. Ohne Grund.

Und mit den Tränen kamen Gedanken: Wie seltsam die Welt doch ist. Alles, was mir in diesem Moment ins Blickfeld fiel, bekam plötzlich Gewicht. Ich betrachtete es mit einer Schwere, die sonst nicht da war. Eine Melancholie, die ohne Kaffee nicht auftauchte – nur mit ihm.

Nicht einmal, nicht viermal – sondern jedes Mal. Erst das schöne Gefühl, dann die Tränen.

Am Anfang war ich irritiert. Ich fragte mich: Wie kann das sein? Warum weine ich nach einem Cappuccino? Zuerst dachte ich an Zufall. Aber irgendwann konnte ich es nicht mehr leugnen: es war ein Muster. Kaffee machte mich nicht nur „breit“, er brachte mich auch zuverlässig in eine melancholische Stimmung.

Das musste ich erst einmal verdauen: Kaffee, der Gefühle in mir auslöst. Eine Traurigkeit. Kann das sein? Ja, es ist so. Bei mir ist das so.

Und das veranlasst mich, darüber nachzudenken, was Gefühle eigentlich sind. Aber das ist eine andere Geschichte – die erzähle ich in einem anderen Artikel.

Mein heutiger Blick darauf

Heute trinke ich nur noch sehr selten Kaffee. Mein Bauch mag ihn nicht mehr, mein Kopf sagt mir: So ein Quatsch. Und doch: die Erinnerung an dieses schöne, weite Gefühl ist so stark, dass ich hin und wieder schwach werde. Dann gönne ich mir einen Cappuccino oder einen Espresso.

Wenn ich den Kaffee getrunken habe, läuft immer das Gleiche ab: Zuerst fühle ich mich wohlig, glücklich, breit. Dann werde ich traurig. Ich bekomme Herzklopfen und denke manchmal schon, ich sei herzkrank. Am Abend kann ich kaum einschlafen. Besonders schlimm – und extrem unangenehm – sind die Magenschmerzen, die zum Glück nicht immer auftauchen. Verrückt, trotzdem immer wieder dem Genuss nachzugeben und Kaffee zu trinken.

Ich warte auf den Tag, an dem ich frohen Herzens sagen kann: Früher fand ich Kaffee toll – heute graust es mir davor.

Wenn ich arbeite, merke ich die Traurigkeit nicht – da hilft mir der wachmachende Aspekt. Aber in ruhigeren Momenten spüre ich die ganze Bandbreite der Wirkung.

Mein Kaffeeverhalten hat sich völlig verändert. Und doch bleibt die Erinnerung: wie toll es war, wie sehr Kaffee einmal zu meinem Leben gehörte.

Kaffee ist für mich ein Beispiel dafür, wie eine Substanz Gefühle auslösen kann. Immer wieder dieselben: erst Glück, Weite, Geborgenheit – dann Traurigkeit, Tränen, Melancholie.

Und das bringt mich zu einer größeren Frage: Was sind Gefühle überhaupt? Sind sie nur biochemische Reaktionen? Sind sie durch Substanzen steuerbar? Oder sind sie tiefer, ursprünglicher, unabhängig davon, was wir konsumieren?

Eine Antwort habe ich nicht. Aber ich weiß: Kaffee hat mir gezeigt, wie sehr Gefühle an Substanzen gebunden sein können. Und wie schwer es ist, sich von den schönen Erinnerungen daran zu lösen.

Andrea Sam, Kommunikationsberaterin und Coach – ich zeige, wie selbst Alltägliches wie Kaffee neue Einsichten in Gefühle und Kommunikation eröffnet.

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9 Antworten

  1. Interessant.
    Kaffee enthalt Coffein und dieses zählt bekanntermaßen zu den Drogen. Kein Wunder also, dass der Genuss „etwas“ mit uns macht. Mit Alkohol, Schokolade (Zucker u. Kakao) etc. ist es nicht anders.
    Zuerst mal, die Dosis macht’s!
    Und dann: jeder reagiert anders auf die enthaltenen Substanzen.
    Mein Enkel reagiert z.B. auf Zucker sofort. Da wird er „hibbelig“ und unkonzentriert. (ADHS Corellation).
    22 Tassen Kaffee an Tag sind schon auch eine echte Hausnummer. Sicher gut, dass Sie das heruntergefahren haben.

    1. Danke für den Kommentar – ja, Kaffee macht eindeutig etwas mit uns. Spannend fand ich bei mir nicht so sehr das Koffein an sich, sondern die emotionalen Reaktionen: erst dieses Ausgedehnte, dann Tränen. Das hat mich wirklich überrascht – und deshalb habe ich genauer hingeschaut. Und toll, wenn man solche Veränderungen bei Kindern so genau wahrnimmt – solche Beobachtungen sind richtig wertvoll.

  2. Einmal wollte ich eine Diät mit basischer Ernährung beginnen. Zu spät hatte ich jedoch bemerkt, dass Kaffeetrinken nicht erlaubt ist. Dachte mir: „Kein Problem, Du lässt den dann Kaffee einfach weg.“
    Am ersten Diättag hatte ich von morgens bis mittags bereits Zwangsgedanken – an Kaffee. Doch ich hielt den einen Tag durch.
    Am nächsten Tag wachte ich mit zittrigen Händen und Gliederschmerzen, die sich wie Muskelkater anfühlten, auf. Im Laufe des Tages bekam ich starke Kopfschmerzen und Schwindelgefühle.
    Kurz vor dem Einschlafen war es so schlimm, dass ich mir einen Espresso machte.
    Was soll ich sagen? Schlagartig waren alle körperlichen Symptome verschwunden! Nach mehr als 40 Jahren Kaffee hatte ich die Folgen der Sucht eindrucksvoll zu spüren bekommen.
    Heute trinke ich nur noch eine Tasse am Tag. Ganz Aufhören mit Kaffee kann ich immer noch nicht.
    Danke für Deinen eindrucksvollen Blog-Artikel, der das damals Erlebte in mir (ohne Kaffee) wieder wachgerufen hat.

    1. Lieber Helmut
      Danke für Deine Beschreibung, Da hast es ja echt krass erlebt. Das Zittern kenne ich nicht. Nur das heftige Kopfweh. Ich half mir mit Teelöffel voll Espresso bis ich Gefühl hatte, ok, es reicht. .. Liebe Grüße Andrea

  3. Liebe Andrea.
    Woh was für eine spannende Geschichte über dich, die Gefühle dahinter und Kaffee.☕️
    Es ist so spannend wenn wir anfangen dahinter zu schauen was wir eigentlich so machen den lieben langen Tag – ohne darüber nachzudenken einfach nur so – man macht es eben.
    Dein Text hat mich wirklich berührt und mich zum nachdenken gebracht.
    Ich trinke auch viel Kaffee aber ob er mir guttut oder wozu er mir dient weiß ich eigentlich garnicht wirklich.
    Ich werde da heute mal reinspüren.
    Vielen Dank für diese ehrlichen Worte .
    Melanie 💚

    1. Liebe …,
      wie schön, dass Dich mein Text so berührt hat. 🙏
      Ja, spüre mal, was Kaffee macht, und für Dich bedeutet.Schon allein diese kleine Aufmerksamkeit für sich selbst macht einen Unterschied.

      Manchmal steckt so viel mehr hinter unseren Gewohnheiten, als wir auf den ersten Blick ahnen und ich will das für mich aufdecken.
      Danke, dass Du das mit mir geteilt hast. 💛

      Herzliche Grüße
      Andrea

  4. Liebe Andrea,
    erst in meinen 40ern begann ich Kaffee zu trinken, bis dahin konnte ich mich am Duft erfreuen, das verband ich mit Kaffee und Kuchen am Wochenende.
    Das Kaffeetrinken begann ich um mich aus der Müdigkeit zu holen, konzentrierter zu Arbeiten oder wenn ich eine längere Strecke Auto gefahren bin. Von Anfang an merkte ich, dass ich als Begleiterscheinung stärkeres Herzklopfen bekam und ich nach einigen Tagen auch Magenbeschwerden dazukamen. Selbst langsam gerösteter Kaffe löste das aus.
    Und in der Zwischenzeit schmeckt mir Kaffe sogar, ich liebe Kaffee Latte mit Hafermilch.
    So ab und zu trinke ich einen Kaffee ( einmal im Monat) , rein aus Geschmack ☕️.
    Danke für deine spannende Beobachtung der Gefühle und das Teilen❣️💐
    Liebe Grüße
    Franziska

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