Vertrauen ist gut – aber nicht immer klug

Was ich über Vertrauen im Berufsleben, in Beziehungen und in mir selbst gelernt habe

Hinweis: In diesem Beitrag geht es um Vertrauensbrüche – im beruflichen wie im privaten Kontext. Es werden Situationen beschrieben, in denen Menschen emotional stark enttäuscht wurden. Wenn Du selbst gerade sensibel auf solche Themen reagierst, achte gut auf Dich beim Lesen.

Dieser Artikel ist mein Beitrag zur Blogparade „Was schafft Vertrauen?“ von Evelyn Wurster.
Evelyn hat sich von Judith Peters‘ Aufruf inspirieren lassen, zu schreiben – und das Thema Vertrauen gewählt.
Ein starkes Thema. Ein wichtiges. Und eines, zu dem ich eine vielleicht etwas andere Perspektive beisteuern möchte.

Denn: Ich halte Vertrauen für wertvoll – sehr sogar.
Aber ich habe in meinem beruflichen Alltag oft erlebt, wie Vertrauen enttäuscht, ausgenutzt oder instrumentalisiert wurde.
Deshalb will ich heute nicht darüber schreiben, wie schön Vertrauen ist, sondern:
Was passiert, wenn Vertrauen nicht auf fruchtbaren Boden fällt.

Auch ich habe vor Kurzem eine Blogparade initiiert – zum Thema prägende Führungserfahrungen. Und wieder zeigte sich:
Die Dinge, die uns tief prägen, sind nicht immer die glänzenden.
Sondern die stillen, die verletzenden, die, über die man lange nicht spricht.

Wenn Vertrauen zur Falle wird – ein Beispiel aus dem öffentlichen Dienst

In einem großen öffentlichen Arbeitgeber mit über 16.000 Mitarbeitenden habe ich in der Beratung von mehreren Menschen ein wiederkehrendes Muster erlebt – eines, das zunächst vertrauensvoll klang, sich jedoch im Nachhinein als äußerst folgenreich entpuppte.

Es ging um interne Karrierewege.
Auf den ersten Blick wirkte vieles transparent und gerecht: Wer sich engagierte, wer Leistung zeigte, sollte gefördert werden. So zumindest die Erzählung.
Doch im Laufe der Zeit – und über mehrere Einzelfälle hinweg – zeigte sich ein anderes Bild.

Einigen Mitarbeitenden wurde versprochen:
Wenn sie eine bestimmte Stelle für eine gewisse Zeit übernehmen – oft unter schwierigen Bedingungen –, würden sie anschließend ihre Wunschposition erhalten.
Manche pendelten täglich stundenlang, andere lebten über Jahre getrennt von ihren Familien – in der Hoffnung, dass es sich auszahlt.

Doch dann wurden die versprechenden Führungskräfte versetzt. Neue kamen – und wussten nichts von den Absprachen. Es gab keine schriftliche Fixierung, keine Weitergabe. Entscheidungen wurden neu getroffen – aus anderer Perspektive.
Für die Betroffenen blieb Frust. Und das bittere Gefühl, vertraut zu haben – auf Worte, die keinen Bestand hatten.

Ich unterstelle nicht einmal böse Absicht. Vielleicht war es auch Ausdruck von eigenem Druck, von einem System, das mit vagen Versprechungen statt mit Verbindlichkeit arbeitet.
Aber gerade deshalb ist die Frage so wichtig:
Worauf gründe ich mein Vertrauen – und was tue ich, wenn es enttäuscht wird?

Versprechen ohne Halt – und was das mit den Menschen macht

Zunächst dachte ich: Vielleicht ändert sich das mit der neuen Führungsebene. Doch leider blieb das Muster bestehen. Auch die neuen Führungskräfte arbeiteten mit Zusagen, die nicht abgesichert waren.

Inzwischen frage ich bei jeder neuen Führungskraft aus diesem Haus ganz konkret nach:
Was wurde Ihnen versprochen? Haben Sie das schriftlich? Gibt es ein Gesprächsprotokoll?

Denn ich weiß: Wenn wieder jemand geht, wird wieder alles infrage gestellt.

Gerade deshalb sage ich in meiner Beratung klar:

Lebe nicht im Modus: „Wenn ich das jetzt durchhalte, bekomme ich irgendwann das, was ich wirklich will.“

Diese Hoffnung kann zur Falle werden – besonders für Menschen, die loyal, still, hilfsbereit sind. Die „nicht auffallen“ wollen, sondern einfach ihren Beitrag leisten.

Und die Folgen? Die gehen weit über beruflichen Frust hinaus.

Ich erinnere mich an einen Mann, der fassungslos und weinend vor mir saß.
Er hatte sich über Jahre hinweg angestrengt, Verantwortung übernommen, persönliche Opfer gebracht – im Vertrauen auf eine Zusage, die nie eingelöst wurde.
Als klar war, dass alles, worauf er gehofft hatte, sich in Luft auflöste, brach etwas in ihm zusammen.
Es war nicht nur Enttäuschung – es war tiefe Erschütterung im Kern seines Selbstbildes.
Er konnte nicht fassen, dass seine Loyalität, seine Leistung, seine Bereitschaft so wenig zählten.
Und ich spürte: Das ging nicht nur an die berufliche Substanz. Das ging tief ins Menschliche.

Vertrauen ist keine Einbahnstraße – auch im Privaten nicht

Nicht nur im Beruf, auch im Privaten ist Vertrauen ein großes Wort – und oft eine Selbstverständlichkeit. Aber ist es das wirklich?

Womit hat der andere mein Vertrauen verdient?
Nur weil ich selbst hohe Werte habe, bedeutet das nicht, dass mein Gegenüber sie teilt.
Vertrauen sollte nicht auf Wunschdenken basieren, sondern auf genauer Beobachtung:
Wie lebt der andere? Wofür steht er? Worauf stütze ich mein Vertrauen – auf Realität oder auf Illusion?

Ich denke nur an die vielen Partnerschaften, in denen eine:r fremdgeht – und der oder die andere aus allen Wolken fällt.
Oder an alte Prägungen:

„Ärzte, Lehrer, Pfarrer – denen kann man vertrauen.“
Das war vielleicht einmal so – oder schien so.
Aber heute ist es wichtiger denn je, genau hinzusehen:
Entspricht das, worauf ich vertraue, noch der Realität? Oder halte ich an einem Bild fest, das mir früher Sicherheit gegeben hat?

Gerade bei älteren Menschen erlebe ich in der Beratung immer wieder:
Da ist ein tiefes Vertrauen in bestimmte Autoritäten – und zugleich ein wachsendes Unbehagen. Der innere Widerspruch tut weh.
Denn zu merken, dass man sich jahrelang auf etwas verlassen hat, das gar nicht tragfähig war – das ist bitter.

Vertrauen durch die eigene Brille – wenn das Bild nicht zur Realität passt

Ein Beispiel aus meiner Beratung zeigt das sehr deutlich:
Eine Ausbilderin im hauswirtschaftlichen Bereich war tief engagiert in ihrem Beruf. Für sie war das, was sie tat, mehr als ein Job – es war ihr Traumberuf.

Eine Auszubildende dagegen zeigte auffälliges Verhalten:
Sie kam zu spät, ließ Aufgaben ausfallen, arbeitete oberflächlich. Die Ausbilderin sprach sie mehrfach darauf an – mit dem Hinweis: „Wenn Du so weitermachst, können wir Dich nicht übernehmen.“

Doch mir war schnell klar: Diese junge Frau wollte gar nicht übernommen werden. Sie war im falschen Beruf.

Die Ausbilderin konnte das zunächst nicht sehen. Erst als ich sie fragte: „Will sie denn überhaupt übernommen werden?“ kam sie ins Nachdenken – und erkannte es schließlich selbst.

Ihr Vertrauen beruhte nicht auf dem Verhalten der Auszubildenden – sondern auf ihrer eigenen Vorstellung, wie man den Beruf sehen muss.

Manchmal vertrauen wir nicht dem Menschen – sondern unserer eigenen Idee vom Menschen.

Vertrauen ist wichtig – aber nicht bedingungslos

Ich halte Vertrauen für einen wertvollen Baustein – gerade in Zusammenarbeit.
Aber ich prüfe heute bewusster:
Ist mein Vertrauen begründet? Wird es ernst genommen? Wird es erfüllt?

Ein Beispiel aus einer Beratung zeigt, wie schwer das sein kann:

Eine Frau erzählte mir von ihrer Tochter. Sie sagte: „Ich will ihr vertrauen – das gehört sich doch als Mutter.“
Es war ein Wert, mit dem sie aufgewachsen war – tief verankert, kulturell und emotional.
Doch gleichzeitig hatte sie immer wieder das Gefühl, angelogen zu werden.

Die Tochter log tatsächlich mehrfach – doch die Mutter hielt über Jahre an ihrem Vertrauensideal fest.
Erst nach langer Zeit – und vielen inneren Kämpfen – wagte sie, genauer hinzuschauen, nachzufragen, nicht mehr alles einfach zu glauben.
Irgendwann, als sie immer weiter nachhakte, platzte es aus der Tochter heraus:

„Du glaubst ja auch alles. Dir kann man alles erzählen.“

Ein Satz, der sitzt.
Weil er so deutlich macht, wie sehr Vertrauen auch benutzt werden kann.
Was als liebevolle Haltung gemeint war, wurde zum Freifahrtschein.

Für die Mutter war das ein Schock.
Erst war da das Ideal von Nähe, Beziehung, Loyalität – und dann diese brutale Erkenntnis:

Mein Vertrauensvorschuss wurde mit Füßen getreten.

Diese Erfahrung hat sie verändert. Nicht verhärtet – aber wacher gemacht.
Seitdem fragt sie sich: Was will ich glauben – und was ist wirklich da?

Was bedeutet Vertrauen für Dich?

Dieser Beitrag zeigt meine Perspektive – geprägt von vielen Jahren Beratung und eigener Erfahrung.
Aber Vertrauen ist ein vielschichtiges Thema.
Mich interessiert:

Wann hast Du Vertrauen erlebt – und wann wurde es enttäuscht?
Was hilft Dir, klar zu bleiben?
Und wie gehst Du heute mit Deinem Vertrauen um?

Ich freue mich über Deinen Kommentar – oder auch über einen stillen Gedanken beim Lesen.

Du bist in einer Führungsrolle – und willst Klarheit im Umgang mit Vertrauen?

Wenn Du als Führungskraft merkst, dass Vertrauen in Deinem Team eine Rolle spielt – vielleicht auch, weil es fehlt, enttäuscht wurde oder unklar ist, was Du eigentlich selbst geben willst – melde Dich gerne.

Ich arbeite über Fischer Consulting mit Menschen, die genau hier ansetzen wollen:
ehrlich, tiefgehend und ohne Floskeln.

Andrea Sam, Kommunikationsberaterin und Coach – für gelingende Gespräche, klare Führung und persönliche Entwicklung.

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