Was sind Gefühle? – Eine persönliche Annäherung

Ich nehme Gefühle nicht einfach hin. Ich untersuche sie. Seit Jahren beobachte ich, was in mir auftaucht – nicht nur psychologisch, sondern körperlich, sozial, kulturell und durch Substanzen. Wie fühlt sich ein Gefühl genau an? Wo im Körper, an welcher Stelle, und wie fühlt es sich dort an?

Gerade in der Arbeitswelt spielt das eine große Rolle. Gefühle bestimmen, wie wir kommunizieren, führen, zuhören oder Entscheidungen treffen. Wer seine Gefühle präzise unterscheiden und benennen kann, bringt mehr Klarheit in Gespräche – und lässt sich weniger von Gruppendynamiken mitreißen.

Gefühle ohne Grund

In letzter Zeit tauchen in mir Gefühle auf, die ich mir nicht erklären kann. Oft fängt es ganz leise an: ein leichter Druck auf den Augen. Dann frage ich mich: Bin ich traurig? Oder habe ich einfach tränende Augen?

Und manchmal, ohne dass ich es erwarte, steigen mir wirklich Tränen in die Augen. Ohne erkennbaren Anlass. Nicht, weil mir etwas Schlimmes passiert wäre. Nicht, weil ich gerade traurig bin. Die Tränen kommen einfach.

Das ist nicht immer angenehm. Klar, wenn es einen „Grund“ gibt, wenn ich etwas Belastendes erlebe, dann kann ich damit umgehen. Aber Tränen ohne Inhalt? Das fühlt sich fremd an. Und doch lasse ich es inzwischen zu. Ich beobachte, ich staune. Und ich merke: diese Gefühle machen etwas mit mir. Sie zeigen mir, dass ich lebe.

Umgekehrt gibt es auch die schönen Überraschungen: Momente, in denen mich aus dem Nichts ein Glücksgefühl überfällt. Einfach so. Dann sitze ich da, erstaunt, woher das kommt – und versuche, es zuzulassen, zu spüren, zu genießen.

Grundgefühle in der Psychologie

Gefühle – muss man da überhaupt drüber sprechen? Man kennt sie doch, man hat sie einfach. Jede:r erlebt sie. Oder?

Schon in meiner ersten Fortbildung zur Transaktionsanalyse lernte ich die sogenannten Grundgefühle kennen. Damals hieß es: Es gibt eine kleine Zahl an Grundgefühlen, aus denen sich alle anderen ableiten lassen.

Die Modelle unterscheiden sich etwas, aber meistens geht es um diese: Ärger, Freude, Trauer und Angst. Über das fünfte Grundgefühl streiten sich die Fachleute: Manche nennen Liebe, andere Ekel, wieder andere Überraschung.

Alles andere seien Kombinationen oder Verstärkungen. Ein Beispiel: Wut gilt nicht als eigenes Gefühl, sondern als angestauter, verstärkter Ärger.

Dann gibt es die sogenannten Mischgefühle. Gefühle, die aus mehreren Grundgefühlen zusammengesetzt sind. Ein typisches Beispiel ist Eifersucht: Sie gilt nicht als eigenständiges Gefühl, sondern als Mischung aus Trauer, Ärger und Angst.

Und dann kommt noch etwas dazu: Manche Gefühle dürfen in Familien einfach nicht gelebt werden. Sie waren unerwünscht, tabu. Stattdessen wurde ein anderes Gefühl an ihre Stelle gesetzt. So durfte zum Beispiel Traurigkeit nicht gezeigt werden – und wurde durch ein Lachen überdeckt.

Ich erinnere mich an meine „Tante“. Sie lachte immer, wenn sie eigentlich traurig war. Dramatische Geschichten erzählte sie lachend. Für uns Kinder war das irritierend. Ihr war es sicher nicht bewusst. Aber für mich wurde dadurch sichtbar, wie sehr Familien prägen können, welche Gefühle erlaubt sind – und welche nicht.

Später traf ich auf eine Freundin, die nach einer Trennung tieftraurig war – aber sie lebte es im Ärger aus. Während sie erzählte, machte sie Pfannkuchen. Und dass die Pfanne dabei nicht durch die Küche flog, war fast ein Wunder. Auch hier zeigte sich: Das eigentliche Gefühl (Trauer) durfte nicht sein – es wurde zu Ärger.

Über die Emotionen zu schreiben, bedeutet für mich auch, bewusst zu machen: Es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Gefühle sind nicht so selbstverständlich, wie sie auf den ersten Blick scheinen.

Meine oder fremde Gefühle?

In meiner buddhistischen Zeit stellte ich mir oft die Frage: Sind das eigentlich meine Gefühle – oder die von jemand anderem?

Im Buddhismus spielt die Idee des Nicht-Ich eine zentrale Rolle. Das kann befreiend sein: Gefühle nicht als „mein“ Besitz zu sehen, sondern als etwas, das einfach auftaucht und wieder vergeht. Für mich stellte sich irgendwann die Frage: Ist das vielleicht auch eine Methode, um mich weniger selbst zu spüren? Um leichter, ungebundener, vielleicht auch erleichtert zu leben?

Doch unabhängig von buddhistischen Ideen kennen wir alle die Erfahrung, dass Gefühle ansteckend sind. Ein Beispiel sind Videos, in denen eine Person zu lachen beginnt – und nach kurzer Zeit lacht die ganze U-Bahn mit. Genauso verhält es sich mit anderen Gefühlen, die sich auf uns übertragen.

Auch Räume können Gefühle tragen. Wenn wir einen Raum betreten, spüren wir manchmal sofort: „Hier hängt dicke Luft.“ Oder wir merken nach einem schwierigen Gespräch, dass es guttut, einmal kräftig zu lüften, um das Schwere hinauszulassen und wieder Leichtigkeit hereinzubringen.

Gefühle können also ansteckend sein. Gut, wenn es nur das Lachen ist – aber schwierig, wenn es Angst oder Panik ist. Genau deshalb halte ich es für wichtig, die eigenen Gefühle zu kennen, beschreiben und wahrnehmen zu können. Wer seine Gefühle kennt, kann sie klarer unterscheiden – und läuft weniger Gefahr, sich von der Stimmung einer Gruppe unbemerkt mitreißen zu lassen.

Gefühle, die nicht meine sind – IoPT und Ahnen

Gefühle, die nicht meine sind – das musste ich erst einmal lernen. Es klingt fast unglaublich, wenn man es nicht selbst erfahren hat.

Während meiner Ausbildung zur IoPT haben wir viele Aufstellungen gemacht. Der Einstieg war immer ein Thema, ein Problem, das einen beschäftigt. Sehr häufig zeigte sich dabei: Das ist nicht mein Gefühl. Es ist ein Gefühl aus meinem Ahnensystem – von einem Vater, einer Mutter, einem Großelternteil. Manchmal ging die Spur noch viel weiter zurück. In meiner eigenen Ahnenlinie hat es sich bis zu meinem Ururgroßvater gezeigt.

In den Aufstellungen wurde oft die Situation sichtbar. Häufig war Unrecht geschehen, über das nie gesprochen wurde. Wenn das Unausgesprochene endlich ins Licht kam, wenn klar wurde, zu wem das Gefühl eigentlich gehört, dann konnte es verschwinden. Manchmal war es, als hätte man nie ein Problem damit gehabt. Schon erstaunlich, was es alles gibt.

Deshalb ist die Aussage „Fühl Deine Gefühle“ sicher richtig. Aber sind es wirklich meine Gefühle? Ich erlebe sie. Doch nicht zwangsläufig stammen sie von mir.

Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der große Angst hatte, die Firma seines Vaters in den Ruin zu treiben. Für mich war auch ohne Aufstellung erkennbar: Das waren nicht seine eigenen Gefühle. Sie kamen aus einer anderen Geschichte.

Die ganze Geschichte kannst Du hier nachlesen unter 3. : [Link]

Gefühle genauer erforschen – im Körper

Irgendwann fragte ich mich: Und was sind dann meine Gefühle?

Bevor ich so differenziert hinschaute, waren die Gefühle zwar da, aber sie flossen oft ineinander. Ich konnte sie nicht klar unterscheiden.
Also begann ich, sie körperlich zu beschreiben: Wo spüre ich etwas? Wird es warm oder kalt? Eng oder weit?

Besonders die Freude wollte ich genauer erkennen – nicht nur als Etikett, sondern im direkten körperlichen Erleben, unterscheidbar von anderen Gefühlen. Dabei hatte ich ein Schlüsselerlebnis: eine Situation, in der ich wusste, jetzt ist es wirklich hundert Prozent Freude. Erst dadurch konnte ich sie in meinem Körper eindeutig wahrnehmen – und seitdem Freude klarer von anderen Gefühlen unterscheiden.

Die Funktion von Gefühlen

Dieses genaue Erkunden von Gefühlen kann uns auch hilfreich sein. Denn Gefühle haben eine Funktion – zumindest dann, wenn sie gesund entwickelt sind.

  • Angst zeigt uns, dass wir vielleicht Schutz suchen oder flüchten sollten.
  • Ärger signalisiert, dass es an der Zeit ist, eine Grenze zu ziehen – und die Frage zu stellen: Wie und wann mache ich das?
  • Freude verbindet uns, macht uns weit und offen.

Schon öfter habe ich bei Kund:innen erlebt, dass Gefühle übermächtig wurden. Dass Angst so groß war, dass sie kein Handeln mehr zuließ. Genau in solchen Momenten werde ich nachdenklich: Wo kommt diese Angst her? Warum ist sie so übergroß? Ohne mich in den Geschichten der Menschen zu verlieren, stelle ich mir die Frage: Was sind Emotionen eigentlich, wo kommen sie her, was bedeuten sie?

Und dann gibt es noch ganz andere Erklärungen. Anthony William zum Beispiel sagt, dass manche Gefühle – vor allem Depressionen – auch durch Metalle im Kopf ausgelöst werden können, durch Stoffe, die im Gehirn nichts zu suchen haben. Das führt uns noch viel weiter weg von den üblichen psychologischen Deutungen.

Und ich sehe: In anderen Kulturen wird ganz anders mit Gefühlen umgegangen. Oft expressiver, freier, lebendiger. Besonders beim Lachen habe ich das gespürt. In Nepal zum Beispiel.

Ich war dort vor vielen Jahren unterwegs, mit meiner neuen Wanderausrüstung, die mich in den Augen der Nepali superreich erscheinen ließ. Ich selbst saß da, mit Angst im Bauch, ob ich bestohlen werden könnte. Und währenddessen lachten die Nepali lauthals – sie saßen um einen verrosteten Blecheimer mit einem Feuer darin und lachten.

Mir fiel ein: Immer wenn ich in Deutschland so laut gelacht hatte, war ich ausgelacht worden. In Nepal habe ich beschlossen: Ich will wieder hemmungslos lachen, wenn mir danach ist. Seitdem tue ich das – so frei und hörbar, dass die meisten erst erstaunen und dann oft selbst mitlachen müssen.

Substanzen, die Gefühle auslösen

Ein ganz eigenes Kapitel sind Gefühle, die durch Substanzen ausgelöst werden. Kaffee zum Beispiel.

Über meine Erfahrungen mit Kaffee habe ich ausführlich geschrieben – Kaffeegefühle – wie ein Cappuccino mich zum Weinen bringt – weil er mir gezeigt hat, wie Substanzen Gefühle auslösen können. Kurz gesagt: Kaffee machte mich zuerst weit und glücklich – und kurz danach melancholisch und traurig. Immer wieder.

Das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Wenn Kaffee so zuverlässig Gefühle in mir auslöst – was bedeutet das dann für all die anderen Substanzen, die wir zu uns nehmen? Auch für die, die mir vielleicht gar nicht bewusst sind? Vielleicht bekomme ich von Weintrauben Glücksgefühle – und habe es nur noch nicht beobachtet.

Auch Kiffen habe ich in meiner Jugend ein paar Mal ausprobiert. Dabei war es weniger ein Gefühl, sondern eher eine veränderte Wahrnehmung: eine besondere Art zu sehen, eine Weltsicht, die über das Gewohnte hinausging. Das hat mir gezeigt, dass Substanzen nicht nur Gefühle, sondern auch unser gesamtes Erleben verschieben können.

Die große Frage

All diese Erfahrungen lassen mich fragen: Was sind Gefühle eigentlich?

  • Sind sie meine oder fremde?
  • Sind sie biochemische Reaktionen?
  • Kommen sie durch Substanzen von außen – durch Essen, Düfte, Chemie in der Luft?
  • Sind sie abgespaltene Teile von mir, die ich wieder einlade?
  • Oder sind sie einfach der Ausdruck, dass ich lebe?

Es gibt auch Stimmen, die noch weitergehen: Manche sagen, wir würden über Frequenzen emotional gesteuert. Andere sprechen von Chemikalien in der Luft. Wieder andere vermuten, wir bekämen irgendwann Chips unter die Haut, die unser Erleben beeinflussen. Im Film Matrix wird eine ähnliche Idee sichtbar – eine gesteuerte Realität, in der Gefühle echt sind, aber die Realität so nicht existiert.

Ich habe darauf keine abschließende Antwort. Deshalb nehme ich meine Gefühle an. Ich spüre sie, lasse sie zu und schaue, was sie mit mir machen.

Gefühle in der Begegnung

Immer wieder passiert es, dass ich bei Kund:innen sitze, sie erzählen etwas – und mir steigen Tränen in die Augen. Früher hätte ich das überspielt. Heute sage ich es offen: dass mich das berührt.

Und genau das verändert die Begegnung. Es macht sie ehrlicher, menschlicher, authentischer.

Schlussgedanke

Hast Du Dir schon Gedanken über Deine Gefühle gemacht? Oder sie sogar bewusst gespürt?

Eine einfache Übung ist, mit den Grundgefühlen zu beginnen: Freude, Trauer, Ärger, Angst (und je nach Modell auch Liebe, Ekel oder Überraschung). Erinnere Dich an Situationen, in denen Du diese Gefühle erlebt hast – und spüre dann ganz genau hin: Wo im Körper zeigt es sich? Wie fühlt es sich an?

Lass Dich überraschen, zu welchem Gefühl Du einen guten Draht hast – und welches Dir schwerfällt. Genau dort beginnt die tiefere Beobachtung.

Genau dieses Hinschauen, Unterscheiden und Verstehen von Gefühlen spielt auch in meiner Arbeit eine wichtige Rolle – sowohl in Coachings, die ich direkt anbiete, als auch in Beratungen über FISCHER Consulting, wenn es um Führungskräfte und Kommunikation geht.

Wenn Dich das Thema anspricht und Du tiefer einsteigen möchtest: Melde Dich gerne bei mir.

Andrea Sam, Kommunikationsberaterin und Coach – für gelingende Gespräche, klare Führung und persönliche Entwicklung.

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2 Antworten

  1. Liebe Andrea.
    Danke für diese Worte zu Gefühlen.
    Ich werde mich in den nächsten Tagen auch mal auf eine Reise zu ihnen machen. Ich habe tatsächlich etwas Angst vor der stärke der Gefühle. Was passiert wenn ich sie wirklich in ihrer ganzen Kraft Dasein lasse. Kann ich das halten? Halte ich das aus? Halten andere mich damit aus?
    Danke danke danke für deine Impulse – sie sind so hilfreich, Ehrlich tiefgreifend.
    Melanie

    1. Liebe Melanie,
      ja, Gefühle können stark sein – und manchmal macht gerade das Angst. Doch Gefühle an sich sind nie „zu viel“. Wenn andere sie nicht aushalten, ist das ihr Thema – solange wir die Emotionen nicht gegen sie schleudern.
      Danke für Deine Offenheit und Dein Vertrauen. 💛

      Herzliche Grüße
      Andrea

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